Leises Gift
lehnte sich zurück und blickte sie von unten herauf an. »Du meinst, du fährst heute noch?«
»Nein, nein. Morgen. Wir fahren erst morgen früh los, sodass wir am Abend da sind.«
Er beugte sich wieder vor, während er diese Neuigkeit schweigend verdaute.
»Keine Angst, ich bringe Ben noch zur Schule, und Mrs. Johnson kann ihn zu Camerons Geburtstagsfeier fahren, wenn du nicht weg kannst.«
Chris hatte die Geburtstagsfeier völlig vergessen. Eine Bowling-Party, wie sie im Moment bei Bens Klassenkameraden angesagt war.
Thora kam um den Stuhl herum und setzte sich auf den Tisch. Seine Stimmung hatte ihr ein wenig die Vorfreude verdorben, doch sie wirkte eher besorgt als verärgert.
»Du bist so still«, sagte sie und musterte ihn aufmerksam.
Er wünschte, er hätte etwas gegen seine Stimmung tun können, doch nach den Anschuldigungen, die Agentin Morse erhoben hatte, und nach der todkranken Freundin seiner Mutter an diesem Vormittag fiel es ihm schwer, sich über Urlaubspläne zu freuen. Wie er Thora auf dem Tisch anschaute, sah er eine deutliche Veränderung. Er hatte sie eigentlich bereits am Vorabend bemerkt, doch seine ausgehungerte Libido hatte es als unbedeutendes Detail abgetan.
»Wie viel hast du abgenommen?«, fragte er und starrte auf ihren eingefallenen Bauch unter dem seidenen Top.
Thora blickte ihn verlegen an. »Was?«
»Du siehst dünn aus. Zu dünn.«
Ein nervöses Lachen. »Das kommt vom Laufen, nehme ich an.«
»Ich weiß. Aber es kann ungesund sein. Hast du deine Regel noch pünktlich?«
»Ich hatte meine letzte Periode vor zwei Wochen.«
Chris versuchte sich an Hinweise zu erinnern, die ihre Worte untermauern konnten. »Ich möchte, dass du rausgehst und dich von Holly wiegen lässt.«
Thora streckte die Hand aus und drückte seinen Oberschenkel. »Jetzt wirst du albern, Chris.«
»Oh nein, ich meine es vollkommen ernst. Los.« Er stand auf. »Ich wiege dich selbst. Ich möchte auch eine Blutprobe nehmen.«
»Blut?« Thora starrte ihn an wie betäubt. »Auf gar keinen Fall!«
»Hör mal, du kommst kaum in die Praxis. Wann hattest du die letzte gründliche Untersuchung?«
Sie dachte über die Frage nach. »Ich kann mich nicht erinnern. Aber Mike Kaufman hat mich durchgecheckt, als ich das letzte Mal dort war.« Kaufman war ihr Gynäkologe.
»Das war mehr eine spezielle Untersuchung. Ich mache mir Sorgen um deinen allgemeinen Gesundheitszustand. Außerdem bist du nicht halb so viel gelaufen, als Mike dich untersucht hat. Es könnte sich störend auf deine Fruchtbarkeit auswirken, weißt du?«
Thora sah ihn nüchtern an, doch sie schwieg.
»Was macht dir Angst?«, wollte er aufrichtig besorgt wissen.
»Nichts. Ich mag bloß keine Nadeln. Das weißt du doch.«
»Das ist kein Grund, die Untersuchung nicht zu machen. Los, komm.« Er nahm sie beim Arm und führte sie zur Schwesternstation. Thora ließ ihre Sandalen an, als sie auf die medizinische Waage stieg. Chris schüttelte den Kopf und bedeutete ihr, die Schuhe auszuziehen. Nachdem sie barfuß auf der Waage stand, verschob er die Gewichte, bis die Zungen einander gegenüberstanden.
»Fünfzig Komma fünf Kilo«, sagte er. »Wie viel hast du bei unserer Hochzeit gewogen?«
»Ich erinnere mich nicht«, sagte Thora schulterzuckend.
»Aber ich. Siebenundfünfzig Kilo.«
»So viel? Nie im Leben!«
Chris schüttelte den Kopf. »Du bist einsachtundsechzig groß, Thora. Du musst keine sieben Kilo abnehmen, wenn du nur siebenundfünfzig wiegst.«
Sie seufzte und stieg von der Waage.
Chris wusste, dass er sie niemals würde überreden können, den Flur hinunter ins Labor zu gehen, also setzte er sie hin und befestigte eine Manschette um ihren Arm, um den Blutdruck zu messen. Er pumpte die Manschette auf und kramte in Hollys unterer Schublade nach einer der Spritzen, die sie für Injektionen benutzte.
»He!«, rief Thora. »Was soll das? Was hast du damit vor?«
»Bleib sitzen und entspann dich. Ich bin ein Ass mit der Nadel – du wirst nichts spüren.«
»Das stimmt«, sagte Holly hinter ihm. »Er würde selbst bei einem übergewichtigen Elefanten eine Vene finden.«
»Ich bin nicht sicher, ob das hier wichtig ist«, sagte Thora. »Was für eine Nadel ist das?«
»Eine Einundzwanziger«, sagte Chris.
Thora verzog das Gesicht. »Kann ich eine dreiundzwanziger haben?«
»Stell dich nicht so an. Ich nehme bei jedem Einundzwanziger«, sagte er.
»Ich bin aber nicht jeder.« Sie zog ihren Arm weg, doch nach ein paar weiteren
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