Leises Gift
wollen? Ich mache mehr Geld für Sie, als irgendjemand anders es könnte.«
Tarver atmete in langen, gleichmäßigen Zügen. »Das stimmt so nicht. Ihre Vorstellung von Reichtum ist äußerst provinziell, Andrew. Der Profit aus meinen Forschungen wird alles, was wir bisher verdient haben, bei weitem in den Schatten stellen. Ich betrachte unsere gemeinsamen Operationen als Nebenjobs, wie ein Student, der nebenher in Kneipen jobbt.«
Rusk war bis zu diesem Moment überzeugt gewesen, dass sie gemeinsam ein revolutionäres Geschäft betrieben; deswegen machte Tarvers Antwort ihn wütend. Doch er widersprach nicht. Er starrte immer noch auf die Sporttasche. Sie hatte sich definitiv bewegt. Irgendetwas Lebendiges war darin.
»Ich muss zurück in die Stadt«, sagte er.
Tarver griff nach unten und öffnete den Reißverschluss der Tasche. »Ihre Vorstellung von einer Stadt ist gleichermaßen provinziell. Jackson, Mississippi … eine Stadt? Meine Güte!«
Rusk schob sich vorsichtig vom Feuer weg, als etwas Schwarz-Gelbes aus der Tasche gekrochen kam. Es sah aus wie der Kopf einer Eidechse. Eine schwarze Eidechse mit einem gelben Band über dem Kopf. Zu klein für ein Gila-Monster, dachte Rusk. Es sei denn, es ist ein Baby.
»Bevor Sie gehen, Andrew«, sagte Eldon Tarver, »erzählen Sie mir mehr über diese Frau.«
»Die Frau?«, fragte Rusk verwirrt, und vor seinem geistigen Auge entstand das Bild von Janice und ihren muskulösen Oberschenkeln.
»Alex Morse.«
»Oh. Sie war Geisel-Unterhändlerin beim FBI. Die beste, die sie je hatten, bis zu dem Tag, als ihr Kollege durch ihre Schuld starb.«
»Was hat sie falsch gemacht?«
»Sie hat sich auf ihr Gefühl verlassen anstatt auf ihre Logik.«
»Ein weit verbreiteter Fallstrick.« Mit fast ballettartiger Eleganz griff Tarver hinter den schwarz-gelben Kopf und hob eine farbenprächtige Schlange aus der Tasche.
O Gott.
Die dünne, rot, gelb und schwarz geringelte Schlange war bestimmt fünfzig Zentimeter lang und wickelte sich nun um Tarvers Arm, als wäre es ein heller, haariger Ast. Rusk starrte auf die alternierenden Farbkringel. Rot, gelb, schwarz, rot, gelb, schwarz …
Sein Blutdruck fiel so rasch, dass er für eine Sekunde glaubte, ohnmächtig zu werden. Es war eine verdammte Korallenschlange! Eine verfluchte Killerbestie! Es sei denn … es sei denn … Es gab eine Königsnatter, die fast genauso aussah wie Korallenschlangen. Er erinnerte sich an eine Geschichte über ein paar Typen, die einem Anwärter auf die Mitgliedschaft in einer Studentenverbindung mit so einem Biest Todesangst eingejagt hatten. Er versuchte sich an einen Vers zu erinnern, den er bei den Pfadfindern gelernt hatte und der helfen sollte, die beiden Schlangen voneinander zu unterscheiden. Wenn er sich nicht täuschte, war es tatsächlich eine verdammte Korallenschlange, die Tarver dort so lässig in der Hand hielt wie ein Kätzchen.
»Woher haben Sie dieses Mistvieh?«, fragte Rusk mit zitternder Stimme.
»Ich habe sie heute Morgen gefunden«, sagte Tarver. »Ein scheues Ding, wie alle seine Artgenossen.«
»Aber sie kam direkt aus der Tasche, als Sie den Reißverschluss geöffnet haben.«
Tarver lächelte. »Ich nehme an, sie wollte sich in der Sonne wärmen. Schlangen sind wechselwarm, Sie erinnern sich? Ist Agentin Morse verheiratet?«
»Nein. War sie nie.«
»Interessant. Kinder?«
»Nein, bis auf den Neffen, Fennells Jungen.«
»Stehen sie sich nah?«
»Sehr.«
Dr. Eldon Tarver schien in Gedanken versunken.
Er ist ein rauer alter Brocken, dachte Rusk. Nicht allzu hässlich – bis auf das Muttermal aber auf vielfache Weise widerlich. Er hatte beispielsweise große Poren. Wenn man sein Gesicht genauer betrachtete, sah es aus wie eine Landschaft voller Löcher. Wie der Dachhimmel eines alten VW Käfer aus den Sechzigern. Und er war das ganze Jahr blass, als hätte die unbarmherzige Mississippi-Sonne keinerlei Wirkung auf ihn.
»Noch eine Sache«, sagte Rusk. »Ich habe morgen einen potenziellen Klienten. Der Kerl ist ein schrecklicher Prolet – bis auf das Bankkonto, an dem absolut nichts Proletenhaftes ist. Ich weiß aus zuverlässiger Quelle, dass er seine Frau hasst. Sie kann jederzeit einen der örtlichen Scheidungshaie aufsuchen, doch Lisa hat mir erzählt, dass sie es bis jetzt noch nicht getan hat. Gibt es einen Grund, aus dem ich ihn nicht akzeptieren sollte, falls er Interesse zeigt?«
»Sie sind ein gieriger Bursche, Andrew. Wie hoch sind die möglichen
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