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Leises Gift

Leises Gift

Titel: Leises Gift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Iles
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sich zu ihrer Ehe bekannten? Oder würden sie das Leid an ihre Ehefrauen und ihre Kinder weiterreichen, indem sie sich scheiden ließen? Arm oder reich – es war immer die gleiche, grundlegende Qual bei jeder Scheidung.
    Rusk war zu dem Glauben gelangt, dass Frauen weniger dazu neigten als Männer, auf der Suche nach persönlichem Glück ihre Familien zu opfern, sobald Kinder im Spiel waren. Was nicht bedeutete, dass sie weniger nach diesem Glück strebten – nur, dass sie nicht so schnell bereit waren, es auf Kosten anderer zu erkaufen. Beweise dafür hatte er keine, bis auf Erzählungen aus einer geographisch eingeschränkten Gegend. Rusk hatte keinerlei Interesse an der Dynamik von Ehescheidungen in New York oder Los Angeles oder sonst irgendwo auf der Welt; er lebte nicht an jenen Orten. Abgesehen davon nahm er an, dass die Motive einer Bande verdammter Yankees ungefähr so neurotisch und selbstsüchtig waren wie ein Woody-Allen-Film, nur ohne die komischen Stellen.
    Carson Barnetts eheliche Probleme hatten ihre eigene spezielle Tiefe und wären für einen Anthropologen oder Soziologen sicherlich nicht ohne Interesse gewesen. Doch für einen Anwalt waren sie mehr oder weniger belanglos. Auf der anderen Seite war Barnett reich, über alle Maßen, und in Rusks Augen – genau wie in den Augen seines Vaters – hatten die Reichen ein Recht darauf, gründlicher angehört zu werden als Menschen von geringerer Bedeutung. Mrs. Barnett, oder Luvy, wie Carson Barnett sie nannte, hatte ihre Ehe als Baptistin begonnen, doch das hatte keine größere Bedeutung in ihrem Leben als die, dass sie eine Chi-Omega gewesen war. Doch einige Zeit nach der Geburt der Kinder war Luvys Interesse für die Kirche und ihr Engagement für kirchliche Belange exponentiell gestiegen. Umgekehrt proportional dazu hatte sie ungefähr zur gleichen Zeit jegliches Interesse an allem Sexuellen verloren. Carson hatte sich eine Zeit lang in sein Schicksal ergeben, so gut es ging, doch irgendwann hatte er – wie jeder echte Mann – Erleichterung gesucht, wo immer er sie finden konnte.
    »Wenn es im Kühlschrank nichts zu essen gibt, geht man eben in den Laden«, dröhnte er. »Stimmt’s, Andy?«
    »Ja, stimmt, Sir«, hatte Rusk ihm beigepflichtet.
    »Ich meine, jeder Hund weiß das! Wenn es in seiner Schüssel nichts zu fressen gibt, geht er auf die Jagd. Ist es nicht so?«
    »Doch, ja.« Rusk stieß ein pflichtschuldiges Lachen aus.
    Er hatte dieses Muster viele Male gesehen. Männer, die sexuelle Erleichterung suchten, durchliefen eine Phase, in der sie mit jeder Frau ins Bett stiegen, die für sie das Höschen herunterließ. Überraschenderweise beeinträchtigte das die Familie nicht im Geringsten. Tatsächlich schienen die Dinge sogar besser zu laufen als zuvor. Der Ärger fing an, wenn der Mann – oder die Frau – jemanden fand, der sich von allen anderen unterschied. Einen »Seelenverwandten« (ein Begriff, der Andrew beinahe zu spontanem Erbrechen bringen konnte); eine Beziehung, die das Schicksal zusammengefügt hatte. Wenn Liebe ihren hässlichen Kopf schüttelte, war Scheidung eine unausweichliche Folge. Und so eine Geschichte erzählte Barnett jetzt auch. Seine »Seelengefährtin« war ein süßes junges Ding, das in dem Barbecue-Restaurant an der Route 59 arbeitete, einem Laden, in dem Barnett in der Vergangenheit eine ganze Menge Ölgeschäfte gemacht hatte – große Geschäfte, auf eine Cocktail-Serviette gekritzelt und mit Handschlag besiegelt, wie unter Ehrenmännern üblich.
    »Wie dem auch sei«, erzählte Barnett, während dicke Schweißtropfen an seinem Hals nach unten perlten, »ich liebe dieses Mädchen wie sonst nichts auf der Welt. Und ich will sie heiraten, auf die eine oder andere Weise, verstehen Sie?«
    Rusk mochte die Wortwahl des Ölmagnaten. Weil Barnett trotz seiner derben Ausdrucksweise in einer Art Kode sprach – einem Kode, der sich in Andrews Ohren stillschweigend in ein spezielles System aus moralischem Kalkül einpasste, gewachsen über Jahre beim Anhören der Klagen frustrierter Menschen, die meisten davon Männer. Alle wurden irgendwann während einer Scheidung wütend. Viele wurden für einige Tage sogar mörderisch wütend. Doch die meisten beruhigten sich früher oder später wieder und ergaben sich resignierend in die Tatsache, dass das Leben von diesem Augenblick an aus einem einzigen lang währenden Kompromiss bestehen würde.
    Doch einige Menschen weigerten sich, diesen Kompromiss einzugehen. Ganz

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