Leitfaden China
intuitiv verarbeitet werden kann.
Dieses intuitive Verarbeiten erlaubt es, die Wirklichkeit als Prozess wahrzunehmen. Sie wird fliessend wahrgenommen. Damit werden aber auch die Grenzen des echten Prozessdenkens klar. Wenn in der Managementliteratur heute manchmal Prozessdenken verlangt wird, um der schnell ändernden Wirklichkeit folgen zu können, so zeigt das asiatische Denken, dass es nur auf die momentane Wirklichkeit bezogen werden kann. Prozessdenken ist nicht in die Zukunft extrapolierbar, es braucht die aktuelle Informationsdichte. Es ist gerade das Fehlen der räumlichen, aber auch der zeitlichen Distanz, welche die Informationsaufnahme mit allen Sinnen ermöglicht. Der Zeithorizont des Prozessdenkens ist deshalb notwendigerweise beschränkt.
Distanz erlaubt eine vorgängige Auswahl der Informationen, die uns interessieren. Fehlt diese Distanz, so sind wir automatisch mit allen Informationen konfrontiert und können keine Vorentscheidungen nach Grund und Ursache oder Wichtigkeit und Unwichtigkeit mehr treffen. Mit der Nähe zum Gegenstand nimmt das Verständnis eines aktuellen Moments durch die umfassende Informationslage zu. Je näher wir jedoch sind, desto subjektiver und emotionaler wird unser Verständnis. Während Hören und Sehen ein psychisch relativ entferntes Wahrnehmen erlauben, führt die direkte Konfrontation unter Einbezug aller Sinne schnell von der reinen Wahrnehmung zur emotionalen Teilnahme, die immer unter Einbezug der eigenen Wertmuster erfolgt.
Die Nähe zur Umgebung führt deshalb auch zu einem pragmatisch-konkreten Denken, dem Analyse und vor allem Abstraktion völlig fern liegen. Diese extreme Nähe zur aktuellen Wirklichkeit bringt zwei Merkmale mit sich, die asiatisches Denken prägen. Es ist dies einerseits das umfassende Begreifen der Wirklichkeit, andererseits auch die Vereinigung von Gegensätzen, welche das holistische Wirklichkeitsverständnis mit sich bringt.
Für den westlichen Menschen kann etwas nicht gleichzeitig schwarz und weiss sein. Entweder ist es schwarz oder es ist weiss. Die Gleichzeitigkeit beider Zustände ist durch unser rationales Denken ausgeschlossen. Während der Westen somit grosse Mühe hat, schwarz und weiss als gleichzeitig anzunehmen, bilden sie für einen chinesischen Menschen immer zusammen die Wirklichkeit, wie dies schon im Yin Yang Symbol deutlich wird. Auf der Mittellinie des Symbols ist die Wirklichkeit immer durch einen Teil Yin und einen Teil Yang bestimmt, das eine schliesst das andere nicht aus. Im Gegensatz dazu steht die westliche Sicht, in der das Entweder – Oder entscheidet. Sowohl schwarz als weiss gleichzeitig zu akzeptieren, hiesse, unlogisch zu denken. Sichtbar wird diese Problematik in der Situation, in der man einen geliebten Menschen auf dem Sterbebett verliert. Während wir auf der einen Seite froh sind, dass seine Leiden endlich ein Ende nahmen, haben wir andererseits jemanden verloren, der uns teuer war. Diese Gleichzeitigkeit der beiden gegensätzlichen Gefühle steht geradezu für das östliche Begreifen der Realität. Das Symbol für Yin und Yang zeigt im Übrigen auf seiner Mittellinie auch sehr schön, dass die Wirklichkeit als im Fluss begriffen wird, sie wird nicht statisch verstanden.
Holistisches Begreifen der Wirklichkeit ist ein Verstehen mit Hilfe aller Sinne, in allen Facetten, welche eine solche Wirklichkeit aufweist. Da sie aber mit allen Sinnen erfasst wird, gelingt es in der Regel nur schwer, sie auch verbal auszudrücken. Lehrreich ist beispielsweise eine Situation, in der eine westliche Projektentwicklung bis zur Entscheidungsreife gediehen ist. Für einen westlichen Manager ist die Informationslage genügend, um einen Entscheid zur Durchführung des Projektes zu fällen. Wenn in diesem Moment ein chinesischer Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin einwirft, es gäbe für sie noch Ungereimtheiten, dann wird wahrscheinlich der westliche Projektleiter dieser Bemerkung nicht genügend Gewicht zumessen. Der Grund liegt darin, dass die chinesische Person sehr schlecht ausdrücken kann, wo sie die Probleme bei der Projektdurchführung sieht. Ihr Verständnis der Lage dürfte aber in den meisten Fällen wesentlich besser sein als dasjenige des westlichen Managers, wie viele Beispiele zeigen, bei denen sich in der Folge Probleme bei der Durchführung ergeben haben. Asiaten fühlen die Wirklichkeit, können sie aber verbal kaum ausdrücken. Wir reduzieren die Wirklichkeit auf überblickbare Dimensionen und
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