Leitfaden China
springende Punkt, den wir zu übersehen riskieren, ist aber das andere Denk- und Handlungsmuster, das dem chinesischen Verhalten zu Grunde liegt.
Erst die Distanz zum Objekt erlaubt Analyse und Abstraktion, wie sie die westlichen Denkmuster kennzeichnen. Damit wird ein Abstand geschaffen, der wie gesagt zu einer Reduktion der Informationen und damit zu einer Basis für Analyse und Abstraktion führt, allerdings auf Kosten der Detailinformationen zur vorliegenden Lage. Im Umgang mit chinesischen Geschäftspartnern muss sich die westliche Seite deshalb bemühen, nicht allzu abstrakt zu argumentieren, sondern in vielen Fällen konkrete Beispiele zur Unterstreichung eines Sachverhalts beizubringen. E. T. Hall (1990 resp. 1959) hat den Unterschied zwischen europäischstämmigen und ostasiatischen Gesellschaften in der Kommunikation mit high context und low context umschrieben. Während wir in der deutschen Sprache relativ präzise formulieren können und ein Satz ohne Kontext verstanden wird, ist das Chinesische auf Grund seiner Bildhaftigkeit in der Modulierung stark eingeschränkt. Der Zuhörer muss den chinesischen Satz in den Gesprächszusammenhang stellen und ihn sehr viel mehr interpretieren, als einen deutschen Satz, der grammatikalisch viel präziser formuliert werden kann. Es ist dieses Einbetten eines chinesischen Satzes in einen gesamten Sinnzusammenhang, der paradoxerweise letztlich aber eine präzisere Situationseinschätzung erlaubt. Wie wir gesehen haben, kann sie allerdings nicht direkt mitgeteilt werden, sondern muss aus der Vernetzung der Informationen aus allen Sinnen und dem entsprechenden Zusammenhang erschlossen werden. In einem Gespräch und für die Einschätzung einer Verhandlungssituation kann dieser Kulturunterschied einen recht grossen Einfluss haben. Ich habe viele Situationen erlebt, in denen ich fast verzweifelt bin, weil ich bemerkte, was der chinesische Gesprächspartner dem Ausländer mitteilen wollte, ohne dass er verstanden worden wäre. Da wir aus einer Individualgesellschaft kommen, können wir zudem noch schlecht zuhören, was die Sache auch nicht erleichtert.
In diesen Unterschieden der Wahrnehmung von Wirklichkeit liegen schliesslich die chinesischen Stärken der hohen Pragmatik und grossen Flexibilität. Taktisches Verhalten wird der chinesischen Person durch ihre Gesellschaft in die Wiege gelegt. Gleichzeitig sind damit aber strategische Schwächen verbunden, auf die gerade auch chinesische Führungskräfte sowohl in ausländischen wie in chinesischen Unternehmen immer wieder hinweisen. Umgekehrt wird die strategische Stärke des westlichen Geschäftspartners in der Regel von einer taktischen Schwäche begleitet. Wie bereits hier ersichtlich wird, ist eine gewisse Kombination der beiden Muster der Schlüssel zu breiterem Erfolg weltweit. Auf diese Fragen werde ich am Schluss des Buches noch zu sprechen kommen, wenn es um eine generelle Diskussion der Vor- und Nachteile von Nähe und Distanz geht.
3. Zusammenfassender Vergleich
Verhaltensmuster
Die grundlegenden Verhaltensmuster der chinesischen Kollektivgesellschaft sind dieselben wie in der westlichen Individualgesellschaft. Hingegen ist die Aufmerksamkeit in den verschiedenen Segmenten der Gesellschaft wegen der unterschiedlichen Dichten des Zusammenwohnens anders.
China ist gekennzeichnet durch:
1. eine ausgesprochen starke Eigengruppe-/Fremdgruppen-Unterscheidung
2. ein hohes Harmonie- und Konsensverhalten in der Eigengruppe, aber einem stark darwinistischen Überlebenswillen gegenüber Fremdgruppen
3. einem anderen Wettbewerbsverhalten, das mit Wettbewerb und Schulterschluss umschrieben werden kann. Hoher Wettbewerb in der Gruppe, aber hohe Abstimmung unter den Mitgliedern, falls die Gruppe von aussen bedroht wird
Denkmuster
Auch das Denken ist physiologisch gleich. Hingegen schafft die physische und psychische Beengung im asiatischen Raum andere Wahrnehmungshorizonte.
Chinesisches Denken ist gekennzeichnet durch:
1. Kurze räumliche und zeitliche Wahrnehmungshorizonte, die ein stark konkretes, pragmatisches Begreifen der Wirklichkeit mit sich bringen. Hier und Heute zählen
2. Fehlende Beobachterdistanz: die chinesische Person ist Teilnehmer am Geschehen, nicht Beobachter wie im westlichen Umfeld
3. eine Informationsaufnahme mit allen Sinnen, was eine viel breitere emotionale Teilnahme bewirkt und subjektivere Sichten mit sich bringt
4. die Wahrnehmung der Wirklichkeit als Film, nicht wie im Westen als eine
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