Leitfaden China
Serie von Momentaufnahmen
5. ein holistisches, intuitives Begreifen des aktuellen Moments, keine analytische Sicht, die erst mit Distanz möglich wird
6. eine Vereinigung der Gegensätze, wie sie im «logischen» westlichen Denken nicht akzeptierbar ist
Zweites Kapitel
Vom ersten Kontakt zur Vertrauensbasis
Wenn sich die Wirklichkeit dauernd weiterbewegt, wie der Chinese oder die Chinesin dies empfinden, dann sind nur noch Personenbeziehungen stabil. Grundsätzlich besteht deshalb auch kein Vertrauen in ein System, denn auch dieses ist ja in ständiger Veränderung begriffen. Dies ist der Hauptgrund, warum Beziehungen so wichtig sind und guanxi, das chinesische Wort dafür, immer wieder verwendet wird. Nur über die Verlässlichkeit in einem Beziehungsnetz können in einem fliessenden Umfeld Risiken noch einigermassen kontrolliert werden, nur über Beziehungen lässt sich das Rechtsumfeld unter Kontrolle halten. Denn wenn alles dauernd fliesst, gibt es auch keine Rechtssicherheit im westlichen Sinn. Daran dürften der chinesische WTO Beitritt und die chinesische Rechtsentwicklung auch in mittelfristiger Zukunft wenig ändern.
Leider sind wir, aus unseren westlichen Individualgesellschaften kommend, nicht besonders gut für diese Anforderungen gerüstet. Gertrud Höhler schreibt in ihrem Werk «Warum Vertrauen siegt» (Höhler 2003, S. 77) meines Erachtens zu Recht: «Eine Gesellschaft, die obendrein auf Individualisierung setzt, die Durchsetzungsvermögen zu den erstrebenswertesten Tugenden zählt, hat keinen leichten Zugang zu Vertrauensprozessen.» Wir scheuen in der Regel schon die Nähe, welche Vertrauen fordert, um entstehen zu können. Kommt dazu, dass Vertrauen immer mit Ungewissheit und Risiko verbunden ist, so lange die Vertrauensbasis noch nicht gesichert ist. Die grundsätzliche westliche Risikoaversion ist auch hier der Schaffung von Vertrauen nicht besonders hilfreich.
Zu diesen Schwächen kommt, dass es um Vertrauensbildung in einer anderen Gesellschaft geht. Wir kennen normalerweise auch die Regeln nicht, nach denen in diesem anderskulturellen Umfeld Vertrauen aufgebaut wird. Die relativ schlechte Vorbereitung einer westlichen Person, vor allem eines Mannes, auf diese Vertrauensanforderungen zeigen sich denn auch gerade in den Fehlern, die in China gemacht werden. In manchen Situationen geht man fast naiv wegen der formalen Grundlagen eines Treffens von einem Vertrauen aus, das gar nicht existiert und dessen Basis nie geprüft werden konnte. Die Schwächen in der Sozialkompetenz, wie sie auf Grund der Individualisierung in den westlichen Gesellschaften leider immer ausgeprägter werden, müssen fast bei jedem Schritt eines Vertrauensaufbaus in Asien überwunden werden. Wir wachsen nun einmal nicht in eine dichte Gesellschaft hinein und sind ihr gegenüber deshalb viel weniger aufmerksam.
Höhler schreibt in ihrem Buch auch (s.oben, S. 46), Vertrauen schenke Geborgenheit. Die Geborgenheit der Eigengruppe, der chinesischen Familie, charakterisiert geradezu eine Kollektivgesellschaft. In den westlichen Individualgesellschaften ist sie wesentlich weniger gefordert, weil die soziale Verantwortung weitgehend dem Staat übergeben worden ist. Das Vertrauen in den Rechts- und Sozialstaat macht, zumindest scheinbar, Geborgenheit überflüssig. Nicht so in einer asiatischen Gesellschaft.
Beziehungen und das Anknüpfen derselben spielen aus diesem Grund eine grosse Rolle. Weil sie so wichtig sind, sollten diese ersten Kontakte nicht dem Zufall oder eventuellen Internet-Adressen überlassen werden. Sie sollten entweder über eine der Regierungsorganisationen oder über einen privaten Konsulenten vorbereitet werden. Diese Organisationen können ohne Weiteres eine Liste von Unternehmen zusammenzustellen, die während eines Besuchs in China aufgesucht werden können. Dies kostet zwar etwas, erspart aber viel Ärger und Enttäuschungen.
Ebenso unverzichtbar ist es allerdings, die Besuche selbst zu machen. Der Aufbau einer Beziehung über Fax oder Mail ist eine Illusion. Viele dieser Mitteilungen oder Kontaktaufnahmen landen direkt im Papierkorb, oft schon allein deswegen, weil die chinesische Seite niemanden hat, der relativ kompetent Englisch spricht. Um einen persönlichen Besuch anhand einer vorbereiteten Besuchliste kommt deshalb niemand herum. Dies kann gerade für KMU ein Problem sein, haben sie doch oft das verfügbare Personal nicht, um diese Besuchspflege, die nach den ersten Kontaktaufnahmen in eine
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