Leitfaden China
Deutlichkeit auf diese Umstände hinweisen wird, wie dies von einer westlichen Seite der Fall sein dürfte. Im Westen geht man Problemsituationen direkt an, in Ostasien hingegen weicht man ihnen meist lieber aus.
Die Kurve zeigt weiter auf Grund ihrer unterschiedlichen Abszissen zwischen der Individual- und Kollektivgesellschaft verschiedene Schwierigkeiten in einer Verhandlungssituation zwischen einer westlichen und einer östlichen Seite auf.
Deutlich nicht den Regeln der Harmonie im Mittelbereich entsprechen beispielsweise Verhandlungen nach dem Nullsummenspiel. Hier wird jeder errungene Vorteil vom Gegenüber mit einem Nachteil bezahlt, d. h. die Interessen der Gegenseite werden nicht entsprechend gewichtet. Gerade in einem chinesischen Verhandlungsumfeld ist diese Haltung schädlich, wenn sie von westlichen Personen in ihrer Interessenvertretung angestrebt wird – wobei die westliche Partei ihrerseits sicherstellen muss, dass nicht gerade dieses Nullsummenspiel mit ihr selbst gespielt wird. Denn dies hiesse, dass die chinesische Seite die westlichen Partner im Aussenbereich ansiedelt und auch keinen Gedanken daran verschwendet, ihre Interessen zu berücksichtigen. Dies käme dem darwinistischen Verhalten einer Kollektivgesellschaft in diesem Kurvenbereich gleich.
Ebenfalls nicht den Regeln der Harmonie entspricht ein westliches Verhalten, das den Verhandlungsvorteil im Mittelbereich der Kurve allzu hemmungslos zu eigenen Gunsten nutzt. Dies wird vom chinesischen Geschäftspartner früher oder später als negativ empfunden und schadet der verlangten Vertrauenssituation sehr direkt. Hat die chinesische Seite diesen Eindruck, dann fühlt sie sich nicht mehr durch die Verpflichtungen der Beziehung gebunden, der westliche Partner wird wieder im Aussenbereich angesiedelt, mit allen bereits erwähnten Konsequenzen, welche dieser ethisch nicht geregelte Bereich mit sich bringt.
Die Harmonie wird in jedem Fall auch dann gestört, wenn sich eine der Verhandlungsparteien an eine Drittpartei wenden muss, sei dies ein Schiedsoder ein anderes Gericht. Vor allem der Beizug einer staatlichen Partei, welche schlichten oder entscheiden soll, ist ein Zeichen, dass sich die beiden Streitparteien nicht selbst einigen konnten und mit ihrem Verhalten die Gesellschaft belasten. In früheren Zeiten wurden unter diesen Umständen zuerst die beiden Parteien bestraft, weil sie die Öffentlichkeit und deren Harmonie störten. Erst in einem zweiten Schritt ging der Richter dann auf den vorgebrachten Fall ein und nahm ein Urteil vor. Grundsätzlich gelten diese Sichten in China auch heute noch. Es geht in Streitfällen nicht in erster Linie darum, Recht zu erhalten, sondern die Harmonie zu erhalten. Dabei wird die Partei, welche sie gestört hat, Konzessionen machen müssen. Oft sind diese Eingeständnisse nach westlichem Rechtsempfinden aber zu klein. Das Beispiel eines Unfalles auf einer Kreuzung mit Grünlicht mag illustrativ sein.
Überquert ein Automobilist eine Kreuzung, wenn die Ampel grün zeigt, und fährt ihm dabei ein anderer Automobilist in die Seite, der seinerseits das Rotlicht missachtet hat, so wird in China in der Regel Recht und Unrecht situativ auf beide Lenker verteilt. Während in einem europäischen Land die Schuld voll auf den das Rotlicht missachtenden Fahrer fallen würde, dürften dies in China nur 80% der Schuld sein. Die restlichen 20% gehen zu Lasten des anderen Automobilisten, der auch bei grün hätte aufmerksamer fahren müssen und auf Grund dieser Unterlassung ebenfalls einen Teil der Schuld zu übernehmen hat.
Auch für die sich in westlichen Augen völlig im Recht befindliche Partei wird es im Interesse der Harmonie und der Minderung des Gesichtsverlustes angeraten sein, auf eigene Forderungen zumindest teilweise zu verzichten. Rein rational gesehen kommt dies in der Regel oft auch billiger zu stehen, als auf dem eigenen Recht zu hundert Prozent zu bestehen und den Fall bis zum (meist bitteren) Ende durchzuziehen.
Als Klammer sei hier kurz erwähnt, dass diese Art des Umgangs mit Recht das kulturell andere chinesische Rechtsempfinden aufzeigt, auf das ich noch zu sprechen kommen werde. Das chinesische Gefühl für Recht und Unrecht ist allgemein viel situativer als westliches Empfinden. Nichts zeigt dies deutlicher als der Unfall auf der mit einem Lichtsignal geregelten Kreuzung. Auch wenn somit das chinesische Recht weiterentwickelt wird, dürften wichtige Unterschiede im Rechtsempfinden
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