Leitfaden China
vor allem auf Grund der Sachkenntnis und Erfahrung bestimmt wurde. Normalerweise ist es deshalb auch der chinesische Delegationsleiter allein, der das Wort führt, die anderen Mitglieder sitzen lediglich dabei und mögen vielleicht nach Aufforderung zu einer Sachfrage Stellung nehmen oder aber übersetzen oder protokollieren. Erst hinter der Bühne dürfte sich der Chefunterhändler normalerweise mit seinen Kolleginnen und Kollegen wirklich besprechen.
Kommt es zur Entscheidungsphase, ist der Delegationsleiter jedoch oft nur entscheidungsfähig, wenn er zuvor die Möglichkeit hatte, den Entscheid mit Kollegen und Vorgesetzten zu besprechen und für seine Vorschläge das Einverständnis zu erhalten. Wenn dies auf Grund der Gesprächsentwicklung in der Verhandlung nicht möglich war, wird der chinesische Chef oder die Chefin den Entscheid nochmals vertagen wollen. Nur bei relativ hochgestellten Personen kann davon ausgegangen werden, dass ihr Verhandlungsmandat bereits die Entscheidungsmöglichkeit einschliesst. Ob sie diese allerdings wahrnehmen oder sich ebenfalls taktisch zurückziehen und einen Entscheid vertagen, bleibt natürlich offen.
Eine der Schwierigkeiten im Verhandeln mit chinesischen Gesprächspartnern besteht auch darin, dass der Verhandlungsleiter vor allem während einer länger dauernden Verhandlung mit verschiedenen Daten wechseln kann. Ein Wechsel ist jedoch auch vom einen auf den anderen Tag möglich. Diese Wechsel mögen verschiedene Gründe haben, von einer normalen Versetzung des Delegationsleiters bis hin zur Verhandlungstaktik und zur Ersparnis eines Gesichtsverlustes, wenn die Verhandlungen nicht so gelaufen sind, wie es sich die chinesische Seite vorgestellt hatte.
Verhandlungsatmosphäre
Wichtig ist beim Ablauf der Verhandlungen, dass sie harmonisch über die Bühne gehen. Dazu sind sie im Mittelbereich der Kurve anzusiedeln. Beide Parteien haben sich gegenseitig abkzeptiert, keine befindet sich – hoffentlich – im Aussenbereich der Kurve, denn dies wäre fatal für das Risiko in den betreffenden Verhandlungen. Sollte trotzdem die eine Seite versuchen, die andere zu übervorteilen, so wird dies früher oder später auskommen und hat im Verhandlungsumfeld je nach Sachlage ein grosses Schadenspotential im Vertrauensbildungsprozess. Es scheint mir, dass gerade in Asien grundsätzlich von einem win – win Prozess im Sinne des Harvard Konzeptes (s. Fisher et al., 2006, resp. 1981, Cellich & Jain, 2004, S. 39) ausgegangen werden muss, weil dabei in dieser Schamkultur niemand als Verlierer dasteht und somit auch niemand das Gesicht verliert. Dies heisst allerdings nicht, dass dieses Gewinnen im beidseitigen Interesse automatisch das Ziel der westlichen oder asiatischen Seite darstellt. In vielen Fällen wird leider ohne grosse Kenntnis der anderen Seite eine eigene Interessenwahrungsstrategie verfolgt.
Es ist kein Zufall, dass Feilschen in einer Kollektivgesellschaft, sei dies im arabischen Souk oder in einem chinesischen Laden, derart verbreitet ist. Das Aushandeln eines Preises erlaubt es nämlich, eine Verhandlungssituation zu schaffen, in der potentiell Käufer und Verkäufer mit dem Verhandlungsergebnis zufrieden sind. Es gibt im psychischen Bereich keinen Gewinner und keinen Verlierer. Das ausgehandelte Resultat wiederspiegelt die Zufriedenheit beider Parteien. Nur der westliche Käufer ist dumm genug, nachher einem anderen Händler auf seine Frage den Preis für die Ware zu nennen. Der Händler wird ihm sagen, er habe viel zu viel dafür bezahlt. Wahrscheinlich stimmt dies schon deshalb nicht, weil er dem Ausländer ganz einfach sagen will, er hätte bei ihm kaufen sollen. Und zu dem Preis hätte er ihm die Ware ohne zähes Ringen wohl auch nicht verkauft. Das schlimmste Resultat ist jedoch, dass der westliche Käufer genau jene Harmonie zerstört, welche die Verhandlung im Souk erlaubt hat. Er kommt sich nun als betrogener Käufer und damit als Verlierer vor.
Der Harmoniegedanke bringt es zweitens mit sich, dass chinesische Geschäftspartner ausgesprochen schnell auf Härte und Nachgiebigkeit in einer Verhandlung reagieren. Härte und Nachgiebigkeit dürften weltweit die entscheidenden Faktoren von erfolgreichem Verhandeln darstellen. Im Umgang mit Verhandlungspartnerns aus kollektiven Gesellschaften sind sie es fast überspitzt. Ein Übermass an Härte oder Nachgiebigkeit stört die grundsätzliche Harmonie der Begegnung in ähnlicher Weise, wie ein zu teures Geschenk Korruption
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