Leitfaden China
wurde nicht berücksichtigt.
Die Fremdgruppe existiert im Zusammenhang einer Kollektivgesellschaft im Bewusstsein der Mitglieder einer Eigengruppe so lange nicht, als sie sich selbst nicht manifestiert. Und Fremdgruppe heisst im Unternehmen dann bereits die andere Abteilung oder gar der andere Dienst in derselben Abteilung. Die Führungskraft wird deshalb in China wesentlich mehr Zeit zum Ausgleich von verschiedensten Interessenkonflikten einsetzen müssen als in einem westlichen Umfeld.
Motivierung und Sozialkompetenz
Der kollektiv orientierte chinesische Mitarbeiter denkt immer an das Unternehmen als Eigengruppe, wenn er etwas will. Chinesen erwarten von einer Führungsperson vor allem dauernde Aufmerksamkeit und Fürsorge, die sich beispielsweise in kleinen Gesprächen mit den Angestellten zeigen können. Fragen nach dem Befinden, kleine Aufmunterungen, ein bejahendes Lächeln werden registriert und positiv vermerkt. Regelmässige Besuche in den Produktionseinheiten und den Büros sind deshalb auch in einem grösseren Betrieb notwendig. Coaching und Caring sind nicht nur theoretische Begriffe in Führungsseminarien, es kommt im täglichen Arbeitsumfeld wirklich auf sie an. Dies geht so weit, dass ein chinesischer Manager sein technisches Entwicklungspersonal nicht im Büro-, sondern im Produktionstrakt angesiedelt hat, um die Grenze zwischen Arbeiter und Techniker nicht noch stärker zu unterstreichen, als es die soziale Wirklichkeit bereits tut.
Jeder neue Chef wird deshalb auch auf Herz und Nieren geprüft, was seine Sozialkompetenz und seine menschliche Seite angeht. Im täglichen Umfeld menschliche Fragen wahrzunehmen oder nicht, kann entscheidend dafür sein, ob der neue Chef akzeptiert wird. Mangelt es ihm an dieser fürsorglichen Seite und sieht er nur die Aufgabenerfüllung als Massstab für Arbeitszufriedenheit, so wird er es nie ins Herz seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaffen. Das chinesische Umfeld verlangt «… einen mehr personenorientierten Ansatz als in Europa, aber auch in anderer Form, bodenständiger…», sagte eine westliche Führungskraft. «Chinesen reagieren schnell auf einen Ausländer, testen ihn, haben ihn gern oder lehnen ihn ab. Die Reaktionen kommen sofort.» Mögen sie die neue Person nicht und ist diese nicht hart genug, «wird sie aufgefressen», wie sich ein erfahrener Hotelier äusserte.
Management von Emotion in chinesischen Unternehmen
In chinesischen Unternehmen verhalten sich Personen nach den Rollenverständnissen und Beziehungsverhältnissen, in die sie in einer Kollektivgesellschaft hineingeboren werden. Eine Person erhält ihre Identität durch die eigene Gruppe. Die Position in der Gruppe und die Rolle, die ihr zugestanden wird, schaffen die Identität des Gruppenmitglieds. Da die Gruppenmitglieder alle miteinander verbunden sind, braucht es auch keine Gesetze, um die Beziehungsverhältnisse zu regeln. Diese beruhen allein auf den Normen der Gruppe. «Die sozialen Normen einer Kollektivgesellschaft beruhen nicht auf Gesetzen, sondern auf Ritual und Norm, die durch die Praxis geschaffen wurden», wie dies der chinesische Soziologe Fei Xiatong in seinem Werk «From the Soil» ausdrückte (S. 43). Ein Gesetz wird nur für Aussenseiter als notwendig angesehen. Deshalb kann ein neues Gesetz das Funktionieren eines chinesischen Unternehmens auch nicht sicherstellen. Die Führungsperson hat ein Gleichgewicht zwischen den vom Staat verordneten Gesetzen und den emotionalen Normen der Eigengruppe zu verfolgen. In vielen Fällen wird die Führungsperson auch versuchen, den Angestellten gegenüber mit Regeln eine gewisse Distanz zu schaffen, um ihnen nicht laufend emotional entgegenkommen zu müssen.
Nach den chinesischen Führungspersonen besteht eine der Hauptaufgaben der Führung darin, die emotionale Seite der Führung zu pflegen und zu versuchen, aus der Firma eine neue Familie zu schaffen. Einer der chinesischen Unternehmer erzählte von einer neuen Regel in seinem Unternehmen. Um die Pünktlichkeit des Managementteams für die wöchentlichen Meetings zu sichern, mussten zu spät kommende Kolleginnen und Kollegen 100 RMB Strafe zahlen. Um der neuen Regel auch Achtung zu verschaffen, wusste er genau, dass er selbst oder einer seiner höhergestellten Manager zuerst zu zahlen hätte. Der Chef vergass deshalb selbst das Meeting und zahlte als Verantwortlicher 200 RMB ein. Damit wollte er persönlich dokumentieren, dass die Regel unumstösslich ist und auch er als
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