Leitfaden China
dies mit einer hoch entwickelten Empathie, denn die chinesische Seite wird in vielen Fällen gar kein Verständnis oder keine Hilfe fordern. Die Führungsperson muss die problematische Seite selbst bemerken und reagieren, einer der Gründe, warum von vielen Führungskräften auch Geduld als Kriterium für Führungserfolg genannt wird. Geduld wurde praktisch von allen ausländischen Führungskräften als eine der wichtigsten Führungsanforderungen angesehen. Auf die Frage, was ihnen der Chinaaufenthalt gebracht habe, antworteten sie fast ausnahmslos, Geduld hätten sie im operativen Umfeld in China lernen müssen.
Dieser Stellenwert der Geduld ist für chinesische Führungskräfte noch wichtiger. Die Angestellten erwarten von ihnen erst recht, dass sie verstanden und ernst genommen werden. Die Zeit, die von ihnen in soziale Aktivitäten mit ihren Angestellten investiert wird, geht weit über das hinaus, was in einem westlichen Unternehmen üblich ist. Nur so gelingt es ihnen längerfristig, ein neues Familiengefühl innerhalb des Unternehmens aufzubauen. Dies geht schon auf Konfuzius zurück, der sagte, dass derjenige, der keine Position im Staate habe, sich nicht zur Politik äussern solle. Nur wenn jeder einzelne Angestellte den Eindruck hat, Teil des Unternehmens zu sein, wird er auch wirklich seinen Teil zum Erfolg beisteuern.
Gleichzeitig zu dieser Nähe ist aber auch ein entsprechender Abstand gefordert, um die Führung sicherzustellen. Eine gewisse Distanz wird schon allein durch Erfolg, Alter und Persönlichkeit der Führungsperson geschaffen. Trotzdem muss sie sich ihre Freiräume in dieser durch gegenseitige Verpflichtungsmuster gekennzeichneten Kollektivgesellschaft erarbeiten. Nur mit einer entsprechenden Distanz wird es ihr möglich, die strategischen Ziele des Unternehmens wahrzunehmen und sie zu verwirklichen.
Wenn man Resultate will, braucht es dazu nicht nur professionelle Kriterien, sondern auch die Erkenntnis, wie wichtig persönliche Beziehungen sind. Reine Zielorientierung führt zu Problemen, man kann in China Personen verlieren, wenn man sich nicht genug um sie kümmert. Dies gilt wiederum auch in einem westlichen Umfeld. Es sei deshalb nochmals unterstrichen, dass die Kriterien in China weit über die Anforderungen in einem westlichen Umfeld hinausgehen und nicht auf einem vergleichbaren Hintergrund gesehen werden dürfen!
Auf der anderen Seite muss die Führungsperson in gewissen Situationen eine Härte entwickeln, die in dieser Form in Europa in einem sozialen Kontext nicht existiert. Wird beispielsweise eine Regel bewusst verletzt, um eine Reaktion zu testen, dann darf auf keinen Fall Verständnis gezeigt werden. Oft geht dies so weit, dass sofort aus dem Bauch heraus reagiert werden muss, ein überlegteres Handeln hiesse, eine Zeitspanne vergehen zu lassen, die der Person sofort anzeigt, dass das chinesische Muster nicht vollständig beherrscht wird und dass die europäische Führungsperson zu weich reagiert. Die Folge davon wäre ein hemmungsloses Ausnutzen dieses Wissens. Wissen, wem zu vertrauen und wissen, wie Vertrauen schaffen, werden so effektiv zu wichtigen Faktoren von Erfolg – wiederum in entscheidenderer Weise als in einem westlichen Umfeld. Auch hier geht eine erfahrene Führungskraft so weit zu sagen: «Last but not least kill before you get killed, if needed.» Die Aussage mag etwas von der Härte zeigen, die in diesem Wirtschaftsumfeld vor allem auf Grund der sozialen Grundlagen herrscht – wohl dem homo homini lupus – der Mensch ist dem Menschen ein Wolf – von Hobbes nicht unähnlich, aber auf einer völlig anderen gesellschaftlichen Basis beruhend. Was hier wichtig scheint ist die Tatsache, dass West und Ost zwar vergleichbar sind, dass aber die Gründe für dieses ähnliche Verhalten in einer individualistischen und in einer kollektiven Gesellschaft anders sind. Die Konsequenzen dieses Verhaltens sind in der Regel in einer Kollektivgesellschaft wesentlich härter als in einer Individualgesellschaft.
Professionalität und Vorbildfunktion
Auch Professionalität gehört normalerweise zur Anforderung an eine Führungsperson und hat als Kriterium für Führungserfolg in einem anderskulturellen Umfeld a priori nichts besonderes an sich. Die Frage, was denn von einer ausländischen Führungskraft im Gegensatz zu einer einheimischen verlangt wird, differenziert hingegen diese Annahme beträchtlich.
Von einer ausländischen Führungskraft wird erwartet, dass sie
Weitere Kostenlose Bücher