Leitfaden Homöopathie (German Edition)
werden. In seltenen Fällen (z.B. bei Husten, Erbrechen oder bei der Verabreichung an kleine Kinder) kann es unklar sein, wie lange die Globuli Schleimhautkontakt hatten, entweder weil sie frühzeitig verschluckt oder aber ausgespuckt wurden. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die Wirkung des homöopathischen Arzneimittels einsetzt, sobald Schleimhautkontakt bestand, also auch dann, wenn es nur wenige Sekunden waren. In unsicheren Fällen, z.B. wenn zweifelhaft ist, ob die Globuli überhaupt mit der Mundschleimhaut Kontakt hatten, sollte die Globuligabe zeitnah wiederholt werden. Eine eventuelle zweite, zeitnahe Einnahme des homöopathischen Medikaments beeinträchtigt die Heilwirkung der ersten Gabe nicht.
Generell gilt:
Die Heilwirkung eines homöopathischen Mittels ist grundsätzlich stabil. Bleibt im Einzelfall eine Wirkung aus, ist meist nicht von endogenen oder exogenen Störfaktoren auszugehen, sondern von einer falschen Arzneiwahl.
9.1 Studium der Materia medica
Bedeutung gründlicher Arzneimittelkenntnis
In der Frühzeit der Homöopathie – vor der Einführung der Repertorien ( Kap. 5 ) – wurde die Arzneimittelwahl allein aufgrund von Materia-medica-Kenntnissen getroffen. Die Materia medica – als Gesamtheit aller geprüften homöopathischen Arzneimittel – war quasi mit den ersten Homöopathen gewachsen und wurde von ihnen aus dem Stegreif beherrscht. Mit der später einsetzenden Verbreitung von Repertorien konnte die Praxistätigkeit wesentlich vereinfacht werden. Allerdings sahen die alten Homöopathen die Gefahr, dass sich ein „Schlendrian“ in der Praxis breitzumachen drohte, sobald die Arzneimittelwahl wegen mangelnder Arzneimittelkenntnis vorwiegend auf der Benutzung von Repertorien beruhte. Daher betonten sie eindringlich die Bedeutung guter Arzneimittelkenntnisse. Mit der weiteren Entwicklung der Homöopathie kamen mit vielen neuen geprüften Arzneimitteln auch zahlreiche neue Symptome hinzu, die die Materia medica ins Unüberschaubare wachsen ließen. Damit ergaben sich damals wie heute für angehende Homöopathen die Schwierigkeiten, die Bönninghausen 1844 so formulierte: „Fast jedem angehenden Homöopathen wird es zu Anfange eben so wie mir [..] ergangen sein, daß er nämlich beinahe in jedem von den vollständig ausgeprüften Mitteln die Elemente zu beinahe jeder Krankheit zu finden glaubte.“ (Bönninghausen 1844)
Bereits 1837 hatte Hering darauf die Antwort parat: „Je mehr Herrschaft über die Mittel, desto seltener werden diese Fälle, desto näher kommt der Arzt der Meisterschaft“.
Die Arzneimittelwahl soll sich nie allein auf Repertoriumsrubriken stützen, denn:
Repertorien liefern nur grobe Hinweise, da sie Prüfungssymptome gekürzt wiedergeben.
Die Herkunft der Symptome (Arzneimittelprüfung, Vergiftungssymptom, klinische Erfahrung etc.) ist häufig unklar.
Viele Prüfungssymptome sind in den Repertorien in einzelne Teilsymptome zerlegt und können somit nicht die Kombination der Symptome liefern.
Gründliche Materia-medica-Kenntnisse erleichtern die Anamnese. („Man sieht nur, was man kennt.“)
Hering und Bönninghausen
Sowohl Bönninghausen als auch Hering hielten ein sorgfältiges Studium der Materia medica zur erfolgreichen Praxisausübung für unerlässlich. Bönninghausen wies außerdem darauf hin, dass die Anamnese bereits aus dem Blickwinkel der Materia medica bzw. mit deren Kenntnis erfolgen solle und dadurch wesentlich effizienter zu gestalten sei: Der „Arzt [muss] schon im Voraus mit dem individuellen Charakter und der Eigenthümlichkeit seiner Heilmittel [..] bekannt sein“. Tatsächlich fällt bei den Aufzeichnungen der Krankheitsbilder in seinen Krankenjournalen die äußerste Knappheit von meist nur wenigen Zeilen auf.
Hering war ein ausgezeichneter Kenner der Materia medica. Er hat an sich selbst mehr als 100 Arzneimittel geprüft, war Dozent für Materia medica an verschiedenen Lehrinstituten in den USA und verfasste später die „Guiding Symptoms“ (zehnbändige Materia medica, Kap. 9.2 ). Wie er immer wieder betont hatte, war ihm die Lehre der Materia medica und deren Erweiterung ein ganz besonderes Anliegen.
Er hatte schon damals die Schwierigkeiten erkannt, die auf einen Anfänger beim Studium zukommen, weil die Symptomenzahl stark angestiegen war, und sich Gedanken darüber gemacht, wie er seinen Studenten das Studium der Arzneisymptome erleichtern kann.
Was aber gilt als der beste Weg zum erfolgreichen Studium der
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