Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
schien, als ihr Gesichtsausdruck es ohnehin schon nahelegte.
Wirklich großartig. Ausgerechnet jetzt musste Miss Crawford zurückkehren. Wäre die verdammte Frau doch nur ein paar Minuten früher zur Stelle gewesen, dann hätte Amelia zweifellos an irgendeinem süßen Getränk genippt, anstatt sich über die Liebeskünste dieses verfluchten Gigolo auszulassen. Und das in einem Ballsaal, in dem sich die Creme de la Creme der englischen Society tummelte.
Miss Crawford warf ihr einen mahnenden Blick zu, der sich nur folgendermaßen interpretieren ließ: W enn du dich weigerst, werde ich dafür sorgen, dass du den Tag verfluchst, an dem deine Mutter dich geboren hat. Dann lachte sie schrill, um das allgemeine Schweigen zu durchbrechen. » Amelia wäre entzückt, Mylord.«
Sie beobachtete Armstrong. So musste Luzifer gelächelt haben, als er die Sünden beging, um derentwegen er schließlich aus dem Himmel verstoßen wurde.
Gemurmel war aus der Menge zu vernehmen.
» Was hat sie gesagt?«, fragte eine Frau.
» Hat sie der Bertram-Tochter befohlen, mit ihm zu tanzen?«, raunte ein älterer Gentleman einem Glatzkopf zu.
» Geh dichter ran, Henry, ich kann nichts hören«, wies die Gastgeberin, Lady Stanton, ihren Ehemann an.
Amelias Blick glitt über die Menge. Sie schaute in Hunderte Augenpaare, in denen sie nichts als Schadenfreude und Sensationsgier entdeckte. Die Meute witterte den Skandal bereits, und das steigerte ihren Appetit nur noch mehr.
Welche Wahl blieb ihr also, außer das Angebot anzunehmen? Im Moment musste sie alles tun, um diesen beschämenden Eklat vergessen zu machen, bevor irgendjemand– namentlich Miss Crawford oder vielleicht sogar Lord Armstrong– auf die Idee kam, ihren Vater über ihre Ungehörigkeit zu unterrichten. Du lieber Himmel, der Mann würde sie mit dem nächsten Zug in irgendein gottverdammtes Kloster schicken, wo sie ein Jahr lang auf den Knien hocken und mit den Händen ein Kreuz umklammern musste, während sie Heil dir Maria und das Vaterunser aufsagte.
» Ich wäre entzückt«, ahmte sie ihre Anstandsdame nach und flehte innerlich, dass ihr der Abscheu nicht auf der Stirn geschrieben stand. Sie legte die behandschuhte Hand auf den Arm, den er ihr bot, und registrierte widerwillig, dass die harmlose Berührung einen Schauder verursachte, der von den Fingerspitzen den Arm hinauflief. Dann ergab sie sich in ihr Schicksal.
Es schien, als müssten sie endlos laufen, bevor sie die Tanzfläche erreichten, während die Gäste eine Gasse bildeten, um sie durchzulassen. Amelia war sich nicht ganz sicher, was am schlimmsten war: die aufdringlichen Blicke oder das Gewisper oder seine Hände auf ihrem Körper, als er sie in die Arme zog. Sie verspürte den überwältigenden Impuls, sich loszureißen, und war gleichzeitig höchst alarmiert, denn jede einzelne Nervenfaser vibrierte.
Ihr Instinkt riet ihr, die Flucht zu ergreifen, loszurennen. Nein, das ließ ihr Stolz nicht zu. Sie straffte den Rücken, reckte den Kopf und schob das Kinn vor. Amelia machte es nichts aus, dass die Leute sie für kalt und gefühllos hielten; aber niemals würde sie ihnen die Gelegenheit bieten, sie einen Feigling zu nennen. Anstatt fortzurennen, legte sie also die Hände auf seine Schultern und ignorierte die Tatsache, dass ihre Haut überall dort prickelte, wo sie sich berührten: an den Händen, an ihrer Taille, am Rücken.
Wegen seiner athletischen Gestalt hatte sie Lord Armstrong eher als Sportsmann gesehen, der sich die Zeit mit Rugby oder Rudern vertrieb. Deshalb erstaunte es sie, ihn als talentierten, eleganten und einfühlsamen Tänzer zu erleben, der sie gekonnt über das Parkett wirbelte. Er redete kein einziges Wort mit ihr, schaute sie nur unverwandt unter halb gesenkten Lidern mit seinen grünen Augen an. Sein verschleierter Blick konnte jedoch nicht das Funkeln in den kohlschwarzen Pupillen verdecken. Offenbar arbeitete sein Verstand auf Hochtouren: überlegte und kalkulierte, plante ihren Untergang.
Nun, ihr würde er keine Angst einjagen.
Trotzdem durchrann sie ein merkwürdiges, warmes Schaudern, als sie versuchte, seinem glühenden Blick zu entkommen. Lag es an ihr, oder war die Temperatur im Ballsaal tatsächlich um ein paar Grad gestiegen, seit der Walzer begonnen hatte?
Einige Minuten und mehrere hundert Herzschläge später, als die letzten Klänge des Walzers noch im Raum schwebten, konnte Amelia es kaum fassen, dass ihre Strafe vorüber war. Ein einziger Tanz als Revanche für
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