Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
Kuss, den Lord Finley ihr auf irgendeinem Ball im Garten aufgezwungen hatte? Und dabei annahm, dass ihr seine Zudringlichkeit willkommen wäre. Und das nur, weil er ein Gesicht aufweisen konnte, auf das der Vergleich » schön wie die Sünde« zutraf. Für diesen Irrtum versetzte sie seinem Schienbein einen kräftigen Tritt. Wenn ein Mann gut aussah, bedeutete das nicht unbedingt, dass er auch ein begabter Liebhaber war. Diese Wahrheit würden die drei verblendeten Frauen eines Tages hoffentlich erkennen. Und manch armer Kerl stürzte auf diese Weise von seinem Sockel.
» Aber warum steigen dann so viele Frauen bereitwillig in sein Bett?« Lady Jane fragte mit einer Mischung aus Zurückhaltung und brennender Neugier, die ihre Schamhaftigkeit bei Weitem überwog.
In diesem Moment steigerte sich die Musik zu einem melodiösen Crescendo, lockte zum Tanz. Doch in Erinnerung an die gestrige Begegnung und die Diskussionen mit ihrem Vater war ihr die Lust auf Männer vergangen. Stattdessen schrie sie gegen den Lärm an, um die Diskussion fortzusetzen. » Warum sie in sein Bett steigen? Aus dem gleichen Grund, aus dem Sie zustimmen würden, mit ihm zu tanzen. Frauen lassen sich leicht von seinem blendenden Aussehen und seinem Charme bezaubern. Außerdem ist der Mann ein Viscount, und überdies soll er dem Hörensagen nach zu den reichsten Adligen Englands zählen. Theoretisch also die ideale Partie. In Wirklichkeit ist er nichts als ein Wüstling. Lord Armstrong gehört zu den Männern, die viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt sind, um sich um die Bedürfnisse der anderen zu kümmern… In jeder Hinsicht. Ich würde meine Mitgift darauf verwetten, dass seine berühmten Liebeskünste nicht annähernd das sind, was man ihnen nachsagt.«
Die drei Ladys starrten sie mit offenem Mund an. Ihre Blicke schweiften durch den Raum, in dem jetzt aufgeregtes Geplapper und verlegenes Stöhnen zu hören war, bevor urplötzlich eine große, lähmende Stille einsetzte und alle Blicke sich auf sie richteten.
Rasch drehte Amelia sich um und entdeckte eine Szene, die sie nur als gespenstisch bezeichnen konnte.
In den Gesichtern der aufwändig frisierten Matronen und herausgeputzten Debütantinnen spiegelte sich ungläubiges Entsetzen.
Die Gentlemen verbargen ihr Grinsen hinter makellos weißen Handschuhen.
Kein Laut schwebte durch die Luft, kein Musikakkord erklang.
Wann um Himmels willen hatte die Musik ausgesetzt? Ihr Blick irrte umher. Und wann waren die Gäste um sie herum verstummt? Amelia empfand nicht einmal Erleichterung, als die Melodie eines Walzers ertönte. Es war keine rettende Kavallerie, die in letzter Minute auf dem Schlachtfeld eintraf. Nein, sie kam zu spät, die Schlacht war verloren. Jeder hatte ihre Äußerung gehört. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann sie sich das letzte Mal so bloßgestellt und gedemütigt gefühlt hatte. So vollkommen versteinert und hilflos zugleich.
Noch nie.
Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, wich die Menge vor ihr auseinander, als habe Moses persönlich den Stab ausgestreckt und die Wasser des Roten Meeres geteilt. Die Schadenfreude in den Gesichtern war unverkennbar. Und die Verdammnis. Denn durch das Meer der juwelenbehängten Kleider und schwarzen Abendanzüge schritt die große, gebieterische Gestalt ebenjenes Mannes, dessen berühmte Liebeskünste Amelia gerade vor aller Ohren hämisch infrage gestellt und damit in den Schmutz gezerrt hatte.
4
M ochte sein, dass Mord mit dem Tod bestraft wurde. Nur musste Thomas jetzt feststellen, dass es Grenzüberschreitungen gab, die ebenfalls zu solcher Strafe berechtigten. Andererseits wollte er verdammt sein, wenn er es erlaubte, sich von dieser unmöglichen Göre zu unbesonnenen Reaktionen hinreißen zu lassen.
Er eilte durch die Menge, den Blick fest auf die Quelle seines Zornes gerichtet. Auf Amelia, die in einem pfirsichfarbenen Ballkleid, die Masse dunkler, seidiger Locken kunstvoll arrangiert, bezaubernd aussah. Nur an ihren schamroten Wangen und den fast furchtsamen Augen erkannte man, dass sie sich ihres Fauxpas sehr wohl bewusst war. Sie wirkte auf ihn wie ein Reh, das im Begriff stand, die Flucht zu ergreifen. Was für ein Jammer, dachte er, dass sich hinter der blendend schönen Fassade ein Herz aus Stein und eine giftige Zunge verbargen.
Die anderen Gäste beobachteten die beiden wie gebannt. Randolph, Smith und Granville gaben sich keine Mühe, ihre Belustigung zu verbergen. Ein paar Damen kicherten. Essex und
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