Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
und verehrte. Wendel würde sie ganz sicher so oft zu Ausflügen überreden, wie sein und ihr Kalender es nur erlaubten. Seit Thomas die beiden im vergangenen Jahr miteinander bekannt gemacht hatte, legte Wendel ein ungewöhnliches Interesse an der Viscountess an den Tag. Und wer konnte es dem Mann verdenken? Abgesehen von ihren äußerlichen Vorzügen war seine Mutter in der Lage, jeden Gentleman mit einem bloßen Lächeln zu entwaffnen. Du lieber Himmel, das hatte er schließlich oft genug miterlebt, sogar damals schon, als sein Vater noch am Leben war.
» Nun, sein Interesse an dir ist mir zwar seit einiger Zeit aufgefallen, aber ehrlich gesagt dachte ich nicht, dass es auf Gegenseitigkeit beruht.«
Die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich. Sie wandte kurz den Blick ab, bevor sie fortfuhr. » Ich möchte mich nicht dazu bekennen, ebenfalls interessiert zu sein. Doch falls es so wäre, wie stündest du dazu?«
» Warum eigentlich nicht? Weil Wendel nicht aus unseren Kreisen stammt?«
Die Viscountess schüttelte den Kopf. » Nein, weil er dein Freund und Geschäftspartner ist. Und natürlich ist da noch die Sache mit deinem Vater.«
» Mutter, so sehr ich meinen Vater geliebt habe und ihn vermisse, so wenig erwarte ich von dir, dass du lebst wie eine Nonne im Kloster.« Obwohl er sich eingestehen musste, dass er insgeheim genau das tat. » Und Derrick Wendel ist ein guter Mann. Es gibt nur wenige, die ich mehr bewundere.«
Sie lächelte erleichtert, was sie mit ihren fast achtundvierzig Jahren um zehn Jahre jünger aussehen ließ. Auf Zehenspitzen stehend drückte sie ihrem Sohn einen Kuss auf die Wange, und ein schwacher Duft von Gardenien stieg ihm in die Nase. » Außerdem sieht er gut aus.«
Thomas stieß ein trockenes Lachen aus und drückte ihre schmalen Hände.
Die Viscountess entzog sie ihm und glättete die Falten ihres üppigen Rockes. Sekunden später war sie wieder jeder Zoll die Dame des Hauses. » Da wir nun alles besprochen haben, kann ich mich ja weiter um meine Pflichten kümmern. Und ich bitte dich, nicht länger mit dem Brief an Miss Foxworth zu warten. Lady Amelia braucht eine Anstandsdame, bevor ich abreise.«
Nachdem seine Mutter fort war, kehrte Thomas an den Schreibtisch zurück– und seine Gedanken zu Amelia, was in letzter Zeit immer häufiger geschah.
Er wollte sich nicht eingestehen, dass ihm die zwischen ihnen entstandene Kluft ganz und gar nicht behagte. Vielleicht hatte sie ihm an jenem Tag nicht unbedingt ihre dunkelsten Geheimnisse oder ihre verborgensten Gedanken anvertraut, aber immerhin: Sie waren auf eine ganz neue, freundschaftlich-vertraute Weise miteinander umgegangen, was sie leider abrupt wieder zunichtemachte. Weil sie in ihm offenbar den Menschen erblickte, der ihr die Zuneigung ihres Vaters gestohlen hatte. Zumindest kannte er jetzt den Grund für ihre Abneigung, auch wenn es sein Vorstellungsvermögen überstieg, wie sie zu dieser Schlussfolgerung gekommen war.
So wie er das sah, verbrachte der Marquess of Bradford einen großen Teil seiner Zeit damit, sich wegen seiner Tochter den Kopf zu zerbrechen. In all den Jahren, die sie sich nun kannten, hatte Thomas ihm ungezählte Male zugehört, wenn er Rat brauchte, wie er mit seinem schwierigen Kind umgehen sollte.
Lieber Himmel, was erwartete sie eigentlich von ihrem Vater? Sollte er etwa alle anderen Menschen aus seinem Leben verbannen, nur damit sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit genoss? Soweit Thomas es beurteilen konnte, gab es nichts, was Harry seiner Tochter versagte. Nicht das Pferd, für das er eine Summe hingeblättert hatte, von der andere drei Jahre lang bequem leben könnten. Nicht die Kutsche, die so aufwändig und kostbar ausgestattet war, dass selbst das Königshaus beeindruckt wäre. Und ganz gewiss nicht ihre Garderobe, die allein ein Vermögen kostete.
Während er sich in Gedanken wie so oft mit dieser widerspenstigen jungen Frau befasste, die ihm nicht mehr aus dem Kopf ging, griff er nach der morgendlichen Post und erspähte ein ihm vertrautes Grün. Seine Aufregung stieg. Rasch zog er den Umschlag aus dem Stapel und betrachtete das goldene herzogliche Siegel, das im Licht der Schreibtischlampe glitzerte. Wut kroch in ihm hoch.
Verdammte Louisa. Warum konnte dieses Weibsbild die Dinge nicht auf sich beruhen lassen? Sich mit mehr als einer schönen, selbstsüchtigen und berechnenden Frau herumzuschlagen, das brachte er nicht fertig. Er verspürte nicht einmal Lust, ihr eine Abfuhr zu
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