Lektionen der Leidenschaft: Roman (German Edition)
sehen, der nicht jeden Schilling Ihrer Mitgift an Spieltischen verplempert. Wäre ich an seiner Stelle– und ich bin dem Himmel jeden Tag dankbar, dass es nicht so ist–, würde ich freudig Ihrer Ehe mit diesem Habenichts Clayborough zustimmen. Diese Verbindung wäre nämlich wie das Seil am Galgen, an dem Sie sich aufknüpfen können. Lassen Sie es sich gesagt sein: Selbst die Bank von England hat nicht genügend Geld im Tresor, um mich zu bestechen, mit Ihnen vor den Altar zu treten. Was das betrifft, dürfen Sie also ganz beruhigt sein.«
Amelia schluckte, erinnerte sich an das letzte Mal, als sie geweint hatte. Damals im Sommer, als sie dreizehn war, mit Fieber im Bett lag und auf die Rückkehr ihres Vaters wartete. Doch er kam nicht. Fünf Tage lang weinte sie, weil sie sich so verlassen fühlte, nachdem im Jahr zuvor ihre Mutter gestorben war. Dann beschloss sie, nie wieder eine Träne zu vergießen. Und sie hielt sich daran.
Was würde sie jetzt darum geben, wieder dieses dreizehnjährige Mädchen zu sein, das weinen konnte, ohne den Abgrund ihres Schmerzes und ihrer Verletzung enthüllen zu müssen. Aber das war ihr als erwachsener Frau verwehrt, zumindest hier und vor ihm. Vielleicht sogar für immer.
Amelia rang um ihre Fassung. » Sie haben recht. Jetzt habe ich eine Sorge weniger und werde bestimmt viel besser schlafen.« Damit drehte sie sich um und legte den Weg zum Haus alleine zurück.
14
A n der Tür zur Bibliothek verabschiedete Thomas die Besucherin und nickte dem Lakaien, der sie hinausbegleitete, kurz zu. Anschließend kehrte er an seinen Schreibtisch zurück und ließ sich in den Ledersessel sinken. Müde fuhr er sich mit der Hand durchs Haar und dachte sorgfältig nach, welche Möglichkeiten sich ihm jetzt noch boten.
Nach zwei Wochen und zehn liebenswerten Bewerberinnen war die passende Anstandsdame für Amelia immer noch nicht gefunden. Und er hatte den Verdacht, dass es nicht ganz unabsichtlich geschah.
» Ich nehme an, dass auch sie nicht geeignet war?«
Die Stimme seiner Mutter. Seide und Satin raschelten, als die Viscountess ins Zimmer trat.
» Hättest du unseren Gast überhaupt früher beachtet? Ich meine, bevor sie sich mehr oder weniger bei uns häuslich eingerichtet hat«, sagte er, ohne auf ihre Frage einzugehen.
» Du bist zu streng mit ihr. Lady Amelia ist eine zauberhafte junge Frau. Außerdem habe ich in den vergangenen vier Wochen bemerkenswerte Veränderungen an ihr festgestellt. Und mit den Mädchen geht sie ganz wunderbar um. Ich will also kein Wort mehr gegen sie hören.«
Ja, vier Wochen waren bereits seit Amelias Ankunft verstrichen, und sie gewann alle Herzen. Nur seines natürlich nicht. Seit dem Disput nach ihrem Ausritt herrschte eine verkrampfte Befangenheit zwischen ihnen, die unüberbrückbar schien. Und ganz offen gesagt, er war froh darüber. Denn er wollte so wenig wie möglich mit ihr zu tun haben. Aber da seine Mutter zu ihren beharrlichsten Verteidigerinnen gehörte, behielt Thomas diese Meinung wohlweislich für sich.
» Hast du einmal über Miss Foxworth nachgedacht?«, fuhr seine Mutter fort. » Sie ist im richtigen Alter und stammt aus einem respektablen Haus. Ich bin mir sicher, dass du sie nur zu fragen brauchst, und sie wird einwilligen. Denk dran, es sind nur noch drei Tage bis zu unserer Abreise. Dir bleibt also nicht mehr viel Zeit. Und ich weigere mich, euch beide ohne ordentliche Anstandsdame gemeinsam zurückzulassen.«
Camille! Zwar überschritten ihre Bescheidenheit und Demut bisweilen die Grenzen des Erträglichen, doch im Umgang mit Amelia war sie vielleicht genau die Richtige.
» Ja, du könntest recht haben. Vielleicht wäre sie passend. Ich schicke ihr noch heute einen Brief«, sagte er und versank noch tiefer in seinem Sessel.
» Dann begleitest du vielleicht mich und deine Schwestern nach London und nimmst Camille auf dem Rückweg mit. Das wäre doch ein netter Ausflug.«
» Und was um alles in der Welt soll ich in dieser Zeit mit Amelia anstellen?« Sie konnte schließlich nicht mutterseelenallein auf Stoneridge Hall bleiben. Der Himmel wusste, was ihn in diesem Fall bei seiner Rückkehr erwartete.
» Was glaubst du, aus welchem Grund ich dir den Ausflug vorschlage? Lady Amelia kommt natürlich mit. Ehrlich, Thomas, du hältst das Mädchen den ganzen Tag über in deinem Arbeitszimmer gefangen. Und erzähl mir nicht diesen Unsinn, dass sie es nicht anders will. Ein junges Mädchen braucht seine Vergnügungen. Ich bin
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