Lelord, Francois
wahr?«
»Das war
nie und nimmer meine Absicht.« In diesem Moment erblickte Hector Valerie; sie
hatte die Terrasse schon betreten und hielt nach ihm Ausschau. Was für eine
Katastrophe! Hector war erst in einer halben Stunde mit ihr verabredet, aber
nun kam sie zu früh! Vor allem musste man verhindern, dass Leutnant Ardanarinja
die Bekanntschaft von Valerie machte, dieser Spezialistin für ethnische Minderheiten.
Es hätte sie nämlich auf die Idee bringen können, von welcher Art Edouards
Versteck war.
Hector sah,
dass Valerie sie beide bereits entdeckt hatte und geradewegs auf sie
zusteuerte. Er sah nur noch eine einzige Möglichkeit, sie fernzuhalten.
Er neigte
sich zu der hübschen Pantherin hinüber und versenkte seinen Blick in ihren
goldbraunen Pupillen.
»Sie haben
recht, manchmal wünschte ich mir, wir könnten uns unter anderen Umständen
treffen.«
Er sah,
wie eine Woge der Freude das Gesicht von Leutnant Ardanarinja aufhellte, was
sie sehr verführerisch wirken ließ. Gleichzeitig sah er, dass Valerie wie vom
Donner gerührt stehen blieb.
»Unter
welchen Umständen beispielsweise?«, fragte Leutnant Ardanarinja.
»Ich bin
sicher, Sie können das voll und ganz von meiner Miene ablesen.«
Sie
lächelte ihn noch immer an, er legte seine Hand auf ihre Hand, und sie entzog
sie ihm erst nach mehreren Sekunden. Aus den Augenwinkeln heraus hatte er
wahrgenommen, wie Valerie kehrtgemacht hatte und ins Innere des Hotels entschwunden
war, aber so richtig erleichtert war er nicht, hatte er ihren verstörten
Ausdruck doch gesehen!
»Dienst
ist Dienst«, dachte er und sagte sich, dass er Valerie die Sache im Nachhinein
schon würde erklären können.
Später zog
er die Karte aus seinem Mobiltelefon und steckte es in einen Umschlag, den er
an der Hotelrezeption für Jean-Marcels örtlichen Verbindungsmann zurückließ.
Leutnant Ardanarinjas Fingerabdrücke darauf würden in verschiedenen
erkennungsdienstlichen Systemen untersucht werden.
Schon
wieder stellte sich dieses James-Bond-Gefühl ein, und Hector konnte es noch
mehr genießen, als er kurz darauf spürte, dass Valerie seinen Erklärungen
glaubte.
»Du hast
mir einen Riesenschreck eingejagt«, meinte sie. »Von dir hatte ich so was
überhaupt nicht erwartet.«
Hector machte
diese Bemerkung zufrieden und traurig zugleich. Er freute sich, weil Valeries
Meinung wichtig für ihn war (Beobachtung Nr. 4: Ein Freund ist
jemand, bei dem dir wichtig ist, was er von dir hält), aber er
war auch traurig, weil Valerie gar nicht ahnte, wie trotz all der Liebe, die er
Clara entgegenbrachte, die Versuchung in ihm weiterlebte.
Verdammte
natürliche Auslese, dachte er.
Der Mann
wartete. In ganz Europa war es für die Jahreszeit kalt, und er hatte dem Impuls
widerstehen müssen, den Motor wegen der Heizung anzumachen. Damit wäre er
womöglich aufgefallen. Glücklicherweise regnete es, und bei Regenwetter sind
die Leute nicht so aufmerksam. Kein Mensch achtete auf den ganz gewöhnlichen
Leihwagen, der in einer ruhigen Straße parkte. Und wenn er in diesem Auto mit
den regenblinden Scheiben sitzen blieb, würde er weder durch seine Statur noch
durch seinen Schnauzbart auffallen. Er betrachtete sich im Rückspiegel: Den
Schnauzer trug er, um ihn in einer heiklen Situation schnell abrasieren zu
können - falls sein Trägergesucht wurde und ein paar Grenzen überqueren
musste. Gleichzeitig hing der Mann an diesem Bart; er hatte ihn sich wachsen
lassen, als er den Armeedienst quittiert hatte, und für ihn war er das äußere
Zeichen seiner neu gewonnenen Freiheit.
Ein großer
grauer Mercedes tauchte im Rückspiegel auf - nein, das waren sie nicht. Diese
Familie steckte ihr Geld nicht in einen dicken Schlitten, und außerdem hatte er
gerade gelernt, dass die Psychiatrie (neben der Kinderheilkunde) einer der am
wenigsten lukrativen Berufszweige für Mediziner war: Die Konsultationen
dauerten zu lange, und man konnte pro Tag viel weniger Patienten empfangen als
die Spezialisten aus anderen Fachrichtungen.
Als er den
Befehl erhalten hatte, nach Europa zurückzukehren, war er erleichtert gewesen.
Er war sicher, dass sein Objekt ihn erkannt hatte, und es grenzte an
Masochismus, die Beschattung unter diesen Umständen fortzusetzen. Es war sein
Fehler gewesen, den anderen Arzt zu unterschätzen, der ein Stammgast war und
ihn zuerst bemerkt hatte. Der Mann versuchte vergeblich, die Schlussfolgerungen
aus dem Geschehenen zu verdrängen: Für Beschattungen war er nicht die
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