Lelord, Francois
unverblümt über die intimen
Details dieser jungen Frauen aufgeklärt zu werden, aber natürlich konnte er
dann doch nicht anders, als sie inmitten der wogenden und halb nackten Tanzriege
ausfindig zu machen. Sie beantworteten seine Blicke mit einladenden Gesten und
lachenden Mienen und forderten ihn dazu auf, sie zu sich und Brice auf die
Sitzbank zu holen.
»Wir
könnten ja vielleicht woanders hingehen«, sagte Hector.
Brice warf
ihm einen missbilligenden Blick zu. »Hör mal, sollen wir das Gesicht verlieren?
Höflich muss man schon sein und sie erst zu einem Gläschen einladen!«
Und
nachdem Brice den jungen Tänzerinnen ein diskretes Zeichen gegeben hatte,
staksten sie auf ihren hohen Pfennigabsätzen sogleich die Stufen hinab, um
sich an der Bar kleine Tops überzuziehen, denn ein gewisses Maß an Dezenz
wahrte man selbst an diesem Ort, der doch eigens dafür geschaffen worden war,
sie zu vergessen.
Und
plötzlich spürte Hector ganz nahe bei und an sich die Wärme des Körpers einer
jungen Frau von zwanzig Jahren, die ihn in verliebtem Ton fragte: What is
your name? und Where do you come from?, und wenn
er sich zu ihr hindrehte, um ihr zu antworten, war auch ihr Lächeln ganz nahe
bei ihm.
Als
Psychiater schaffte er es, sein Unbehagen nicht zu zeigen, er glaubte er
zumindest, und eigentlich brauchte er sich nur ein Beispiel am guten alten
Brice zu nehmen, der mit Nummer 17, deren schlanker Arm sich ihm zärtlich um
den Hals wand, herumschäkerte. Man brachte ihnen kleine Gläser mit Tequila, und
alle prosteten sich zu und tranken auf Liebe, Ruhm und Schönheit, wobei die
Schönheit, wie Hector fand, in ihrer Runde ja bereits vertreten war, während er
bezweifelte, dass man Ruhm und Liebe an einem Ort wie diesem begegnen würde.
Brice war da offenbar anderer Meinung: Er wirkte so stolz und verzückt, als
hätte er gerade die Aufmerksamkeit zweier unnahbarer Prinzessinnen erobert.
Während
sie miteinander anstießen, erinnerte sich Hector an seine Beobachtung
Nr. 5: Ein Freund ist jemand, dessen
Lebensweise du akzeptieren kannst. Er fragte sich, ob sie ihm das Wiedersehen
mit Brice nicht vergällen würde.
Und
dennoch, trotz aller verfänglichen Begleitumstände war es ihm ein Vergnügen,
Brice wiederzusehen, und so konnte er sich wenigstens noch an die Beobachtung
Nr. 3 halten: Ein Freund ist jemand, den du
gerne siehst.
Aber warum eigentlich? Hatte es
vielleicht mit der Beobachtung Nr. 6 zu tun: Freunde,
die man seit vielen Jahren hat, sind so rar wie Baumriesen?
Hector versteht etwas
Schließlich saßen sie alle vier in einem merkwürdigen Pub,
der schmal und endlos lang war. Die wenigen anderen Gäste waren allesamt ältere
Europäer oder Nordamerikaner, die in intensive Gespräche vertieft schienen und
Bierkrüge vor sich stehen hatten, manche auch Aperitifs, die vor ein paar Jahrzehnten
in Mode gewesen waren. Einige waren in Begleitung von asiatischen Frauen, aber
die waren auch schon ein bisschen älter, wenngleich mindestens zwanzig Jahre
jünger als ihre Gefährten, die sie offensichtlich seit Langem kannten. Das
Lokal sah aus wie ein richtiger englischer Pub und war mit alten Stichen, die
eine Hetzjagd zeigten, und Stierkampfplakaten aus den Sechzigerjahren
geschmückt. Wahrscheinlich hatte der Eigentümer damals das einst bei den Briten
so beliebte Spanien verlassen, um sich das nächste Paradies zu suchen.
Allerdings
bekam man den Inhaber des Pubs nicht zu Gesicht, drei seriöse junge Frauen
kümmerten sich um die Bedienung. Sie waren wie Kellnerinnen gekleidet und
nicht wie »Hostessen«. Dieser altmodische Ausdruck seines Großvaters kam Hector
plötzlich in den Sinn, wahrscheinlich auch durch die Gäste des Pubs. Mit ihren
zitternden Händen und ihren schon etwas stumpf gewordenen Blicken schienen
manche von ihnen nicht mehr so weit vom Grab entfernt zu sein.
»Okay«,
sagte Brice, »das Ambiente ist ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber es ist
doch allemal besser als der Fernsehraum im Altersheim.«
Da musste Hector
ihm zustimmen.
Nummer 8
und Nummer 17 - oder vielmehr Lek und Nok - schienen entzückt, sich an diesem
Ort zu befinden, und machten sich mit dem gesunden Appetit junger Frauen von
zwanzig Jahren über die kidney pies her, die
Brice für sie bestellt hatte. Hector hatte bemerkt, dass ihr Fortgang aus dem Dolly
Dolly von einer Finanztransaktion zwischen Brice und der
Oberkellnerin begleitet gewesen war.
»Man muss der
Bar etwas zahlen, damit man sie
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