Lelord, Francois
sie eine Woge von Dankbarkeit. Sie war seine Freundin, daran gab
es keinen Zweifel.
Beobachtung
Nr. 19: Ein(e) Freund(in) ist jemand, dem (der) du oft dankbar bist.
Hector lernt dazu
Die Zeit floss noch immer so träge dahin, aber Hector
begann sich daran zu gewöhnen. Solange er genügend Seife hatte, um sich zu
waschen, ging es noch; er hatte sich sogar an das Klo gewöhnt, das heißt an die
wacklige Hütte, die eine Grube umgab, aus der es so stank, dass man sich
beinahe nach dem Geruch des Leichnams zurücksehnte. Übrigens war dieses Bauwerk
auf Initiative von Idwa errichtet worden.
Aus dem
Dschungel waren beruhigende Nachrichten gekommen: Brice hatte den Dialog mit
der Lady aufgenommen, und sie zeigte sich, von seiner Ankunft gerührt, momentan
ganz friedlich und kontaktfreudig. Natürlich wusste sie nicht, dass Brice einer
der Verantwortlichen für ihre Geiselnahme war, und so konnte sie ihn nach Lust
und Laune idealisieren - der tapfere Ritter, der in den Urwald geeilt war, um
sie zu retten ...
»Manchmal
bedeutet Glück, nicht alles zu begreifen«, sagte Valerie.
»Nicht
übel - woher hast du das?«
»Na, von
dir! Du hast es mir letztens vorgelesen; es war einer der Sätze aus deinem
Notizbüchlein.«
»Ich
sollte meine eigenen Sachen mal wieder lesen.«
»Ich weiß
noch gut, wie du damals aus China zurückgekommen bist und irgendwie verändert
wirktest. Ich habe mich immer gefragt, was dir dort passiert ist.«
»Ach, das
habe ich ganz vergessen«, meinte Hector.
»Also eine
Frau! Wusste ich's doch!«
»Damals
war ich noch nicht verheiratet.«
»Du bist
einfach zu komisch«, sagte Valerie und brach in helles Gelächter aus.
»Aber
warum?«
»Ich weiß
nicht, du wirkst immer so verlegen, wenn es um dein Liebesleben geht. Die
meisten Männer würden sich mit solchen Geschichten brüsten!«
»Vielleicht
habe ich noch ein Bewusstsein für die Sünde«, sagte Hector. »Auf diesem Gebiet
jedenfalls.«
»Davon
könnte Brice sich eine Scheibe abschneiden.« Und bei diesen Worten lachte
Valerie ganz und gar nicht mehr.
Weil sie
das Land gut kannte, erzählte ihr Hector, was Brice über die Nummernmädchen und
die Sozialversicherung für abgelegene Regionen gesagt hatte. Er wollte die
Situation besser verstehen, und wenn er nur Brice' Standpunkt hörte, war es so,
als würde man einen Heroinsüchtigen zum Thema Drogenfreigabe befragen. Aber
Valeries Antwort überraschte ihn.
»Im Großen
und Ganzen hat Brice nicht unrecht«, sagte sie. »Ist das dein Ernst?«
»Ja, aber
er vergisst zwei Dinge. Heute ist das Land entwickelter als früher, und auch
auf den Dörfern herrscht nicht mehr das nackte Elend. Aber die jungen Frauen
arbeiten immer noch, um den Lebensstandard ihrer Familien zu erhöhen. Es gibt
da so ein Konkurrenzgehabe.«
»Ein was?«
»Ja, wenn
so eine junge Frau regelmäßig aus der Hauptstadt zu Besuch kommt und ihre
Familie sich bald ein neues Haus bauen oder Mopeds kaufen kann, dann sagen die
Nachbarn zu ihrer eigenen Tochter: >Hast du gesehen, wie nützlich Lek für
ihre Familie ist?< Und oft braucht es keine weitere Aufforderung, damit die
junge Frau loszieht, um in der Stadt ihre Pflicht zu tun. Schließlich kann sie
dort, solange sie jung und hübsch ist, das Zehnfache von dem verdienen, was sie
als Arbeiterin bekäme. Und im Dorf tut man so, als wüsste man von nichts. Eine
der Hauptursachen für die Prostitution in Asien ist - neben der Armut und den
Menschenhändlern natürlich - die Ergebenheit der Töchter ihrer Familie
gegenüber. Das ist man seinen Eltern und seinen Geschwistern schuldig.«
Hector
brauchte einen Moment, um diese Information zu verdauen.
»Und die
zweite Sache, die Brice vergisst?«
»Das, was
die Männer erzählen, nachdem sie diese jungen Frauen später geheiratet haben.
Nach der Hochzeit haben ihre Ehefrauen oftmals keine große Lust mehr auf Sex -
für sie gehören Sex und Liebe nicht mehr zusammen, im Gegenteil.«
Brice
hatte also nicht alles begriffen, oder vielleicht hatte er nicht alles sagen
wollen.
Erst als
Brice schon unterwegs war, fand Hector den Mut, Edouard von, dem Verrat zu
erzählen. Er erklärte ihm auch, was Brice dazu bewogen hatte.
»Der
Unglückliche«, sagte Edouard. »Der Unglückliche.«
»Bist du
ihm denn nicht böse?«
»Doch,
aber in seiner Haut möchte ich jetzt nicht stecken.«
Aber
Edouard wirkte eigentlich nicht wütend, sondern einfach nur traurig. »Auf
jeden Fall bin ich ein bisschen
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