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Lelord, Francois

Lelord, Francois

Titel: Lelord, Francois Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hector
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geredet.
    »Damals
lebte Edouard schon am anderen Ende der Welt«, sagte Hector.
    »Aber er
hat auf meine Kontaktversuche nicht geantwortet. Als er einmal in Europa war,
hatten wir uns zum Abendessen verabredet, aber er hat abgesagt. Und dann ist er
wieder weggeflogen.« Wie Brice das sagte, klang es, als wäre es erst letzte
Woche geschehen. Es hatte ihn tief verletzt.
    »Weißt du,
Brice - ich glaube, dass Edouards Abendgestaltung damals ein bisschen so
aussah wie deine eigene. Das hieß aber nicht, dass du nicht mehr sein Freund
warst. Ihr habt euch einfach aus den Augen verloren.«
    »Du
verteidigst ihn auch noch?«
    »Das ist
doch egal. Aber hast du dich nicht schäbig gefühlt, als du ihm diese Leute auf
den Hals gehetzt hast? Hast du dich nicht gefragt, ob die Strafe für jemanden,
der dich einfach aus den Augen verloren hat, nicht zu hart ist? Weißt du, was
Edouard jetzt droht?«
    Brice saß
schweigend da. Hector spürte, wie er zögerte - genau wie manche seiner
Patienten, wenn sie Angst davor hatten, ihm etwas zu enthüllen, für das sie
sich schämten.
    »Im Grunde
glaube ich ... weil, als ich Blödsinn gemacht habe ... als alles den Bach
runtergegangen ist ... weil mein Leben von da an verpfuscht war - nein, nein,
ich weiß, dass es verpfuscht ist, egal, was du sagst, ich versuche doch bloß
noch, die Zeit herumzubringen, bis es sowieso endgültig aus ist - also habe ich
mir gesagt, dass alles in allem ... dass es nicht ungerecht wäre, wenn es
Edouard genauso ginge wie mir. Das ist ein bisschen zum Kotzen, nicht wahr?«
    »Es ist
hundertprozentig zum Kotzen«, sagte Hector.
    »Weiß
Valerie Bescheid?«
    »Nein.«
    »Bitte sag
ihr nichts davon.«
    »Ist dir
wichtig, was Valerie über dich denkt?«
    »Ja«,
meinte Brice, »ich glaube schon.« Und mit einem Mal fing er tatsächlich an zu
weinen. Er verbarg sein Gesicht in den Händen, aber sein ganzer Körper wurde
von den Schluchzern erschüttert. Wie bei einem Kind.
    Hector
fand es schwierig, einem Kind böse zu sein. Andererseits müssen Kinder
bestraft werden, wenn sie Dummheiten anstellen. Aber es gelang ihm nicht,
Brice zu verabscheuen, auch wenn ihn das, was sein Kollege getan hatte, bei
jedem anderen angewidert hätte. Warum bloß? Vielleicht weil Brice schon so
lange Teil seines Lebens war, weil sie schöne Stunden miteinander verbracht
hatten und weil er immer ein verlässlicher Freund gewesen war. Aristoteles
sagt, dass die tugendhafte Freundschaft aufhört, wenn einer der Freunde den
Pfad der Tugend verlässt - es sei denn, er zeigt den Wunsch, für seine Fehler
zu sühnen.
    »Ich werde
dir Gelegenheit geben, das wiedergutzumachen«, sagte Hector.
     
    Später schaute er in sein
Notizbüchlein und stieß dort wieder auf die Beobachtung
Nr. 18: Ein Freund ist jemand, der dich um Entschuldigung bitten kann.
    Brice
hatte ihn um Entschuldigung gebeten, und seine Tränen zeigten, dass er über
seine Taten ernstlich betrübt war. Hector fragte sich trotzdem, ob er Brice
wirklich verzeihen konnte.
    Sollte man
Verrat bei einem Freund eher entschuldigen als bei einem anderen - einfach nur,
weil er ein Freund ist und weil man das Wohl seiner Freunde will? Oder sollte
man im Gegenteil schwerer verzeihen, eben weil er ja ein Freund ist und weil es
umso schlimmer ist, wenn man von einem Freund verraten wird?
    Und was
würde Edouard darüber denken, wenn er es wüsste?
     
    Hector ist dankbar
     
    »Ihre Freundin macht uns das Leben schwer.« Leutnant Ardanarinja
schien am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu stehen. Selbst der näselnde Klang
des Walkie-Talkies schaffte es nicht, ihre Gereiztheit zu überdecken.
    »Sie ist
keine Freundin, sondern eine Patientin.«
    »Auf jeden
Fall hat sie ein Problem mit Autorität. Haben Sie das mit ihr schon mal
durchgesprochen?«
    »Wissen
Sie, sie ist ein Star ...«
    »Ja, das
hat mir einer meiner Soldaten auch schon gesagt.«
    Leutnant
Ardanarinja schien nicht viel fernzusehen, und sie war noch zu jung, um Kinder
im Teeniealter zu haben - falls sie überhaupt je welche haben würde. Und wie
Jean-Marcel erklärt hatte, war es unwahrscheinlich, dass sie bei ihrem Beruf
viele Freunde hatte. »Wir wechseln regelmäßig den Standort, aber weil sie sich
weigert zu gehen, müssen wir sie tragen.«
    »Wie geht
es ihr?«
    »Sie
weigert sich zu essen, und wir müssen sie die ganze Zeit gefesselt lassen.«
    »So kann
das nicht ewig weitergehen!«
    »Genau. Wo
ist das Geld?«
    »Ich tue,
was ich kann, aber mein Freund hat keine

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