Lemberger Leiche
sie Erik kenne, gab sie bereitwillig eine erschöpfende Antwort, die gleich noch weitere Informationen einschloss.
»Erik ist mein Freund. Wir kennen uns seit einem halben Jahr«, sagte Bosede eifrig. »Aber erklären Sie mir doch bitte, weshalb ich hierherbestellt worden bin. Warum fragen Sie nach Erik? Hat er was angestellt?«
»Wie kommen Sie darauf, dass er etwas angestellt haben könnte?«
»Er machte immer so komische Andeutungen, nennt mich Bonnie und sich Clyde und erzählt mir von einem Gangsterpärchen, das diese Namen getragen hat. Erik hatsolche lustigen Ideen. Man kann viel mit ihm lachen.« Bosede lächelte glücklich vor sich hin, als habe Erik gerade einen Witz gemacht.
»Wissen Sie, womit Ihr Freund sein Geld verdient?«
»Nicht genau. Aber er hat gesagt, er hätte einen guten Job und würde viel verdienen.« In ihrem Lachen lag Bewunderung und Arglosigkeit. »Sonst könnte er sich ja auch kein Sportcabrio leisten.«
Vielleicht hatte Irmas Miene Mitgefühl gezeigt, denn Bosede flehte sie nun förmlich an, ihr zu sagen, wo Erik war. Aber Irma wollte selbst erst einige Fragen loswerden.
»Sagen Sie mir bitte zuerst, wann Sie Erik das letzte Mal gesehen haben.«
Während Bosede erzählte, fingerte sie nervös an ihren Zöpfen herum. »Unsere letzte Verabredung liegt schon drei Wochen zurück. Ich warte und warte, kann ihn nicht mehr per Handy erreichen und die E-Mails kommen zurück.«
»Sie wissen nicht, wo er wohnt?«, fragte Irma erstaunt.
»Er wohnt bei seiner Tante, aber er macht ein großes Geheimnis aus der Adresse. Er will weg von der Tante, wir möchten zusammenziehen.«
»Wohnen Sie noch bei Ihren Eltern?«
»Ja.«
Irma schob die Beantwortung von Bosedes Frage nach Erik ein letztes Mal auf und fragte: »Kennen Sie Brünnhilde Kurtz?«
»Nein. Wer ist das?«
Da wurde Irma klar, dass Bosede keine Ahnung von den Hintergründen der Tragödie hatte, in der ihr Freund Erik eine Hauptrolle spielte. Bosede wusste nicht einmal, dass es eine Tragödie gegeben hatte. Und Irma wurde auch klar, weshalb sich ihre Kollegen klammheimlich davongemacht hatten. Sie hatten sie mit der schweren und traurigen Aufgabe allein gelassen, Bosede zu erklären, was mit Erik, den sie offensichtlich liebte, geschehen war.
In der nächsten Viertelstunde versuchte Irma dem jungen Mädchen so schonend wie möglich beizubringen, dass Erik tot war.
Die Reaktion, die diese Nachricht auslöste, war herzzerreißend. Nachdem sich Bosede hartnäckig geweigert hatte, Irma zu glauben, und es endlich doch glauben musste, brach sie zusammen. Sie krümmte sich auf ihrem Stuhl und gab Töne von sich, die für Irma wie Wehgeschrei afrikanischer Klageweiber klangen. Irma fiel nichts anderes ein, als Bosede in die Arme zu nehmen und festzuhalten. Sie wusste, hier würden Trostworte nicht fruchten, und schwieg. Sie wiegte das Mädchen wie ein Kind hin und her, bis die Schreie leiser wurden und in Schluchzen übergingen.
Irma fiel es nicht leicht, Bosede zu bitten, so lange zu bleiben, bis Brünnhilde Kurtz verhört werden würde. Ihre Antwort waren entsetzt erhobene Hände und verstört blickende Augen. Irma verstand Bosedes Angst, der Frau zu begegnen, die unter Verdacht stand, Eriks Tod verschuldet zu haben.
Erst als Irma eindringlich fragte: »Wollen Sie uns nicht helfen, die Wahrheit herauszufinden?«, hatte sie das Mädchen überzeugt.
Der Kopf mit den krausen Zöpfchen nickte.
Obwohl sie in der Zelle nicht weich gebettet gewesen war, hatte Brünnhilde gut geschlafen. Nach ihren Fantasieträumen fühlte sie sich für den Tag gewappnet.
Noch dieses Verhör, dachte sie, und falls sie mich nach Schwäbisch Gmünd karren, werde ich ihnen unterwegs entwischen.
Sie war überzeugt, die Handfesseln sprengen zu können, wenn sie ihre ganze Kraft darauf konzentrieren würde. Sollte sie aber auf der Fahrt nach Schwäbisch Gmünd nicht entkommen können, hoffte sie, eine Flucht aus dem Frauengefängnis wäre leichter als aus Stammheim. In Stammheim, sohatte sie irgendwo gelesen, war alles auf Sicherheit ausgerichtet, ein Ausbruch nahezu unmöglich.
Als sie in den Verhörraum geführt wurde, verschlechterte sich ihre Laune, weil außer Schmoll und Katz auch Irma auf sie wartete.
Auf diese rote Hexe könnte ich wahrlich verzichten dachte Brünnhilde. Warum nur habe ich ihr nicht den Hals umgedreht? Sie ist schuld, dass ich mein neues Leben, das eben erst begonnen hatte, wieder aufgeben musste. Brünnhildes Mundwinkel sackten
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