Lemberger Leiche
noch weiter nach unten, als nun Irma und nicht Schmoll das Wort ergriff und mit dem Verhör begann.
Irma fragte nach Erik. Wie Frau Kurtz ihn kennengelernt habe. Das beantwortete Brünnhilde flüssig und wahrheitsgemäß. Sie schilderte die Situation vor dem Feuerbacher Bahnhof, wo sie Erik Raabe buchstäblich von der Straße aufgesammelt hatte.
»Okay«, sagte Irma. »Sie haben den jungen Mann also bei sich aufgenommen, was auf Ihre soziale Ader schließen lässt. Jetzt berichten Sie doch bitte, wie Ihr Verhältnis zueinander war?«
»Verhältnis!?«, blockte Brünnhilde ab. »Was heißt Verhältnis? Wollen Sie mir unterstellen, mit dem Bengel geschlafen zu haben?«
»Wir wollen Ihnen gar nichts unterstellen«, mischte sich Schmoll ein. »Wir wollen wissen, wie sich ihr gemeinsamer Alltag in dieser Wohngemeinschaft gestaltet hat.«
»Ganz einfach: Ich habe das Geld verdient, und Erik machte sich in Haus und Garten nützlich. Aber er hatte zwei linke Hände. Hat es nicht einmal geschafft, die Fensterrahmen zu streichen. Eigentlich konnte er nichts außer kochen. In der Küche war er ein Profi. Alles, was er mir servierte, hat hervorragend geschmeckt …«
»Das reicht«, sagte Irma. »Hat Erik Raabe Miete bezahlt?«
»Wovon denn? Er hatte ja keine Arbeit und er bemühte sich auch nicht darum. Aber da hätte ich ihn schon noch zur Einsicht gebracht. Er war ein Kindskopf, aber nett und anstellig.Seit ich in den Medien von seinem Tod gehört habe, bin ich aufrichtig erschüttert und untröstlich.«
»Aufrichtig erschüttert und untröstlich«, murmelte Irma. Sie sah die Leiche des jungen Erik vor sich und merkte, wie sich ihr Magen zusammenkrampfte.
Schmoll blieb gelassen und hakte weiter nach. »Scheint so, als hätten Sie den jungen Mann wie Ihren persönlichen Sklaven gehalten.«
»Aber wo denken Sie hin!«, empörte sich Frau Kurtz. »Er bekam von mir, was er brauchte: Kleidung, Essen und sogar ein Auto.«
»Ein Sportcabrio«, stellte Irma klar. »In dem sie zuerst gemeinsam rumkutschiert sind und er später mit seiner Freundin unterwegs gewesen ist.«
»Ich war schon immer ein großzügiger Mensch«, sagte Frau Kurtz. »Erik und ich sind sehr gut miteinander ausgekommen.«
Sie schwieg, und hinter ihrer Stirn zog die wahre Geschichte vorüber: Erik, wie er sich anfangs tatsächlich nützlich gemacht, aber vor allem willig und mit Bravour ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigt hatte. Als er plötzlich seine Dienstleistungen bezahlt haben wollte, hatte sie schon längst nicht mehr auf ihn verzichten können. Sie war ihm hörig geworden und gab ihm immer mehr Geld, schenkte ihm schließlich das Cabrio, damit er seine Drohung, sie zu verlassen, nicht wahr machte.
Brünnhilde zuckte zusammen, als Schmolls Stimme in ihre Gedanken platzte.
Er knüpfte an ihre letzte Aussage an: »Erklären Sie bitte genauer, Frau Kurtz, weswegen Sie sich für einen großzügigen Menschen halten.«
Irma entging nicht, dass Brünnhilde Kurtz einen Moment zögerte, wahrscheinlich überlegte sie, was sie preisgeben konnte, ohne sich zu schaden.
»Erik wollte ständig Geld. Obwohl ich, schon wegen meines Berufes, mit Geld umgehen kann, vergaß ich die Regeln.Es machte mir Freude, für jemanden sorgen zu können, da ich das zuvor noch nie im Leben hatte tun dürfen.«
Brünnhilde schluckte, als sei sie von ihrer edlen Gesinnung gerührt, konnte aber nicht verhindern, sich zu erinnern, wie es wirklich gewesen war: Als sie entdeckt hatte, dass Erik ihr Geld für eine Freundin ausgab, drehte sie ihm den Geldhahn zu und drohte damit, das Cabrio zu verkaufen.
Er legte ihr darauf einen Zettel aufs Kopfkissen mit der Nachricht:
Wenn du mich nicht in Ruhe lässt und kein Geld für mich auftreibst, schreibe ich einen Brief an deinen Bankdirektor und kläre ihn auf: Ihre untadelige Filialleiterin bezahlt einen fünfzehn Jahre jüngeren Liebhaber fürs Ficken!
Vieles hätte Brünnhilde ertragen können, aber nicht, dass das streng gehütete Geheimnis ihres obszönen Privatlebens entdeckt werden würde. Damals war sie aus ihren Träumen erwacht und es blieb nichts als ein Albtraum übrig. Aus Angst, von Erik bloßgestellt zu werden, gab sie ihm weiterhin Geld. Innerhalb eines Jahres waren ihr Sparkonto leer und die Investmentfonds veräußert. Er verlangte, sie solle eine Hypothek auf ihr Haus aufnehmen, damit er sich eine Eigentumswohnung kaufen konnte. Als er kapierte, dass sie zum ersten Mal hart bleiben würde, schlug er vor,
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