Lemberger Leiche
sichtbar. War sie noch mehr geschrumpft? Wenn, dann nur einen Millimeter. Sie schwieg, strich über ihre dichten, kurzen Haare und ballte dann die Hände zu Fäusten. Die Fingerknöchel traten weiß hervor.
Schmoll fragte, ob sie einen Rechtsanwalt wünsche.
Sie zuckte mit den Schultern und sagte: »Nein, bloß nicht! Der würde mich auch nur ausfragen.«
»Wenn der Ihne helfe soll, muss er Sie frage«, sagte Katz.
Frau Kurtz presste die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Sie wollte nicht mehr ausgefragt werden. Sie würde sich selbst zu helfen wissen, aber darüber musste sie nachdenken. Dass sie, obwohl jetzt in Stuttgart und nicht mehr bei der spanischen Polizei, wieder in Gewahrsam übernachten sollte, ging ihr gewaltig gegen den Strich. Immerhin warsie naiv genug, geglaubt zu haben, die Auslieferung nach Deutschland sei ein Zeichen dafür, dass die Spanier in José den Schuldigen erkannt hatten. Konnte die deutsche Polizei sie für etwas festhalten, das in Spanien passiert war? Die Sache in Feuerbach, dachte Frau Kurtz, würde niemand beweisen können. Da war sie sich ganz sicher.
Schmoll war aufgestanden und hatte begonnen, mit auf dem Rücken gefalteten Händen im Raum auf und ab zu gehen.
Brünnhilde Kurtz dachte: Nun weiß er nicht weiter. Nun läuft er hier rum, als würde er auch Handschellen tragen.
Sie schenkte ihm ein verrutschtes Lächeln und sagte: »Lassen Sie mich nach Hause gehen, Herr Hauptkommissar. Ich wohne nicht weit von hier. Wenn’s unbedingt sein muss, melde ich mich morgen wieder bei Ihnen.«
Frau Kurtz sehnte sich nicht nach ihren eigenen vier Wänden, sondern nach ihrem Boxsack. Seit sie festgenommen worden war, brannte sie darauf, sich daran austoben zu können. Die Handschellen klirrten, weil ihre Fäuste zuckten.
Schmoll gab ein verächtliches Grunzen von sich. Ein Ton, der anzeigte, wie genervt er war. Er tätschelte seine Glatze und sah missbilligend auf die Dame, die aufgestanden war und nun vor ihm stand. So Auge in Auge mit einem Gegenüber zu stehen, ärgerte ihn. Mit seinen Einsneunzig war er es gewohnt, auf die Leute herabzublicken. Irgendetwas zwang ihn, diese Riesenfrau wenigstens mit Worten etwas zu erniedrigen.
Und so sagte er mit Herablassung: »Nach Hause wollen Sie gehen? Stellen Sie bitte nicht solche blöden Forderungen. Beantworten Sie lieber unsere Fragen, ohne ständig zu lügen. Nachdem Sie mit internationalem Haftbefehl nach Stuttgart zurückgebracht worden sind, können Sie doch nicht erwarten, dass wir Sie hier ohne viel Federlesen wieder loslassen.«
Sie guckte, als ob sie das nicht verstanden hätte. Wenn sie nicht nach Hause durfte, wollte sie wenigstens endlich ausdiesem Verhörraum raus, um endlich in Ruhe nachdenken zu können. Ihr würde schon was einfallen, womit sie ihre Unschuld beweisen konnte. Es gab für alles eine Lösung. Aber jetzt wollte sie vor allem nichts mehr gefragt werden.
Schmoll kam ihrem Wunsch entgegen, indem er kurzen Prozess machte und sagte: »Also, dann bis morgen«, und veranlasste, Brünnhilde Kurtz in eine Zelle zu bringen.
Als er sie los war, schien ihm das aber auch nicht recht zu sein, denn er knurrte: »Ich dachte, wir würden heute schon einen Schritt weiterkommen!«
Um sich abzulenken und nachzudenken, begann er mit Kniebeugen. Allerdings gab er schon nach der fünften auf und lief seinen Mitarbeitern zum Kaffeeautomaten hinterher.
Nach einer Pause wies Schmoll Katz und Irma an, die bisherigen Ermittlungsakten zusammenzustellen und bereitzuhalten. Er gab die Hoffnung nicht auf, den Fall schon am folgenden Tag der Staatsanwaltschaft übergeben zu können.
Brünnhilde Kurtz befand sich inzwischen hinter Gittern.
Sie war von einer älteren Beamtin empfangen worden, die sogleich damit begann, die Reisetasche auszuräumen. Neben zwei Baumwollpullis, einer Jeans und Unterwäsche enthielt die Tasche ein Designertäschchen, das laut Aufdruck aus dem Hotel
Castillo
stammte. Darin befanden sich Duschgel und Bodylotion, ein Kamm mit breiten Zinken, Zahnpasta und eine elektrische Zahnbürste. Die Beamtin trug jedes Stück in ein Formular ein. Sie zählte die Münzen und Scheine in Frau Kurtz’ Portmonee, sortierte die knapp fünfzig Euro wieder ein und legte es zu den anderen Sachen in eine Plastikkiste. Als die Beamtin auch noch die Armbanduhr verlangte, und dieses Geschenk des verliebten Russen auch in der Kiste verschwand, hätte Brünnhilde die Frau am liebsten niedergeboxt. Während geübte Hände in
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