Lemberger Leiche
die Augen.
»So heißt eine Mergelgrube am Lemberger Horn in Feuerbach.«
»Aha. Und wer hat den jungen Mann da hineinbefördert?«
»Aller Wahrscheinlichkeit nach Frau Kurtz.«
»Und diese Dame sollst du hier suchen!? Aber so klein ist die Insel nun auch wieder nicht. Wie willst du deine Tatverdächtige denn finden?«
Irma seufzte. »Das fragen Schmoll und die Staatsanwaltschaft auch. Aber ich will es versuchen.« Und dann bockig und ein wenig stolz: »Frau Zuckerle hab ich ja auch in Ägypten gefunden.«
»Das war reiner Zufall«, sagte Leo.
»Ohne Zufälle lässt sich kein Fall aufklären. Das, wobei unsere Berechnungen versagen, nennen wir Zufall.«
»Klingt richtig philosophisch«, sagte Leo.
»Stammt ja auch von Einstein. Er wäre ein guter Ermittler gewesen. Aber ich weiß nichts, als dass Frau Kurtz einen Tag nach dem Bankraub in ein Flugzeug nach Palma gestiegen ist. Wo soll da der Zufall stecken?«
»Erzähl mir von Frau Kurtz«, forderte Leo Irma auf. »Was ist das für eine Frau?«
»Sie ist eine gewissenhafte leitende Bankangestellte, die sich noch nie etwas hat zuschulden kommen lassen.«
»Wie alt?«
»Vierzig.«
»Sieht sie gut aus?«
Irma schmunzelte. »Die ist nichts für dich! Frau Kurtz ist lang. Mindestens einen Kopf größer als du – aber du bist ja sowieso ziemlich kurz.«
»Werd nicht frech, du Zwerg!«
»Selber!«
»Bitte nicht abschweifen!«, sagte Leo. »Ich teste gerade mein Talent, Zeugen zu befragen.«
»Na, dann frag weiter.«
»Hat Frau Kurtz Hobbys?«
»O ja. Erstens ist sie geil auf Richard Wagner und zweitens ist sie geil auf Fitnesstraining.«
»Und wie heißt die Dame mit Vornamen?«
»Brünnhilde«.
Leo stutzte und sagte dann: »Brünnhilde! Wagner! Na, aber hoppla, Herr Einstein!«
»Was meinst du damit?«, fragte Irma, die Leos Zeugenbefragung nicht sehr konzentriert gefolgt war, weil ihr die Aufgabe, die sie auf der Insel erledigen sollte, in der zauberhaften Umgebung plötzlich völlig unwichtig erschien.
»Was ich meine? Na, erst mal nichts Besonderes. Wenn man Brünnhilde heißt, verpflichtet das möglicherweise, Wagner zu hören«, sinnierte Leo. »Und was ihr zweites Hobby angeht, könnte es ja sein, dass sie hier im Urlaub auch trainiert. Ich werde mal meine Kollegen interviewen, ob jemand von ihnen eine große, schöne Dame als Klientin hat.«
»Ich habe gesagt, sie ist groß«, berichtigte Irma. »Schön ist sie nicht! Ihr kleiner Freund, der Erik Raabe, der war hübsch. Aber Frau Kurtz ist ein unansehnliches Neutrum. Aschblonder Haardutt. Biedere Klamotten.«
Damit blieb das Thema Brünnhilde Kurtz zwischen den leergegessenen Tellern auf dem Stein liegen und wurde mit dem Abfall in die Tüten gestopft.
Die Dämmerung war der Nacht gewichen. Die schmale Mondsichel konnte den Sternen ihre funkelnde Show nicht stehlen. Grillenzirpen. Wellengemurmel. Wispern in Pinienwipfeln. Zeit zum Schmusen.
Irgendwann sagte Leo: »Gehen wir baden?«
»Ich hab keinen Badeanzug dabei.«
Nun lachte Leo, dass es von den Felsen hallte. »Ich wusste ja gar nicht, dass die große Kommissarin eine kleine Spießerin ist.«
Irma fauchte irgendwas Unverständliches, und da beide sowieso nicht mehr viel anhatten, rannten sie im nächstenMoment barfuß bis zum Hals ins Wasser. Leo fiel noch rechtzeitig ein, dass Line gesagt hatte, das Schwimmen sei hier nicht ungefährlich, da es Felsen gäbe, die nur wenige Zentimeter unter der Wasseroberfläche lägen. Also beschränkten sich die beiden auf eine Wasserschlacht in Ufernähe und liefen danach prustend und tropfend zu dem Steinpodest, das die Wärme des Tages gespeichert hielt.
Über der Bucht hing unirdische Ruhe. Irma und Leo waren eingehüllt in Zärtlichkeit.
Zwölf
Donnerstag, 8. Juli
In der Mitte der schweren Gardinen, da, wo sie nicht ganz schlossen, glänzte ein Lichtstreifen. Sonst war es stockdunkel im Zimmer. Irma tastete zur anderen Bettseite nach Leo. Er hatte angekündigt, er müsse zum Frühdienst und war offensichtlich so leise weggeschlichen, dass sie seinen Aufbruch verschlafen hatte.
Sie blinzelte nach der Uhr. Es war fast acht. Mit Schwung sprang sie aus dem Bett und riss die Vorhänge auseinander. Sie seufzte beim Anblick der gegenüberliegenden Hotelfassade. Nun sehnte sie sich außer nach Leo auch noch nach Meeresblick oder einem Gebirgspanorama. Sie nahm sich zusammen und machte sich klar, hier nicht zum Vergnügen zu sein, sondern im Dienst. Nach dem Duschen packte sie endlich ihren
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