Lemberger Leiche
denke mir, das war eine Ausnahmesituation: Erstens hat Leo heute Geburtstag, zweitens war es der letzte Tag mit der Aerobic-Gruppe, weil die Mädels morgen heimfliegen. Und drittens, sei nicht so idiotisch eifersüchtig, das steht dir nicht!«
Line versuchte, ein strenges Gesicht zu ziehen, was durch ihre Stupsnase und kugelrunden Eulenaugen mal wieder gänzlich misslang.
Und während Irma nun sagte, dass sie gar nicht gewusst habe, wann Leos Geburtstag sei, und sich total bekloppt vorkam, sagte Line: »Dann geh erst mal rauf und dusch dich. Du stinkst. Ich versuche, Leo dein Problem zu erklären, und schick ihn dann zu dir.«
Irma folgte Lines Rat wie ein gescholtenes Kind, das nun brav sein wollte.
Nach der Dusche saß sie mit nassen Haaren und in ein Badetuch gewickelt auf dem winzigen Balkon und starrte gegen die geschlossenen Fensterrollos des Nachbarhotels. Leo hat heute Geburtstag, dachte sie. Wenn ich nicht mal weiß, wann er Geburtstag hat, was gibt mir dann ein Anrecht, ihn für mich allein haben zu wollen? Wir kennen uns einfach noch zu kurz, um genug voneinander zu wissen. Wir hatten bisher viel zu wenig Zeit füreinander. – Habe ich meinen Vorsatz, mich nie mehr an einen Mann zu binden, gänzlich vergessen? Wieso denke ich, Leo würde mir gehören? Ich bin altmodisch, und wenn es um Männer geht, schlicht von vorgestern! Warum bin ich nicht fähig, Liebe für eine gewisse Zeit zu genießen, ohne immer gleich ans gemeinsame Altwerden zu denken? Ich sollte mir in dieser Hinsicht Mam als Vorbild nehmen. Sie nimmt die Liebe mit, wo sie sie findet. Ist glücklich, solange sie währt. Und sobald sie einEnde kommen sieht, schielt sie mit ihren hübschen Augen nach dem nächsten Kerl.
Ein Klopfen, ihr Erkennungszeichen, das sie und Leo Urwaldtrommel nannten, ließ sie aus ihren Gedanken schrecken. Sie brauchte ein paar Sekunden, bis sie sich entschloss zu öffnen. Als sich das Klopfen nicht wiederholte, überfiel sie Angst, er wäre wieder gegangen. Sie sprang hoch, rannte zur Tür und riss sie auf.
»Leo!«
»Hallo, Irma«, sagte er leise. »Du bist wunderschön.« Da erst merkte sie, dass sich das Badetuch verselbständigt hatte und sie splitternackt vor ihm stand.
»Ich hätte jetzt zu nichts so viel Lust, als dich aufs Bett zu schmeißen«, sagte Leo.
»Dann tu’s doch. Bitte!«
Eine Stunde später fuhren Irma und Leo mit dem Lift herunter ins Hotelfoyer. Der Portier wedelte mit einem Zettel, den Line an der Rezeption hinterlegt hatte:
»Hola, ihr beiden Turteltauben! Com anem? Balzt ruhig weiter. Ich bin auf mein Zimmer gegangen, damit ihr ohne Aufsicht ein paar Stunden verliebte Nasenlöcher machen könnt. Habe noch zu arbeiten und möchte nicht gestört werden! Line.«
Leo grinste. »Die Kleine hat uns freigegeben«, sagte er. »Ich hatte sie eingeladen mitzukommen. Jetzt müssen wir uns eben allein ins Nachtleben von Mallorca stürzen.« Er legte seinen Arm um Irmas Schulter, steuerte zum Parkplatz, öffnete die Beifahrertür eines nagelneuen weißen Fiat 500 und machte eine einladende Geste. »Bitte steigen Sie ein, gnädige Frau.«
»Wow«, machte Irma. »Seit wann hast du ein Auto?«
»Ist nur ein Leihwagen. Zur Krönung des heutigen Tages gemietet. Zu Ehren deiner Ankunft auf der Insel.«
»Wo fahren wir hin? Es ist ja schon gleich acht.«
»Das Ziel ist eine Überraschung. Ganz romantisch.«
»Ich hab Hunger«, sagte Irma sehr unromantisch.
»Ich auch«, sagte Leo. »Können wir es noch eine halbe Stunde aushalten?«
Irma lachte und nickte. Sie setzte entschuldigend hinzu: »Manche Sachen, die mir guttun, machen mich eben hungrig: joggen und auch …«
Leo fuhr auf die Autobahn Ma-1 Richtung Westen. Irma lehnte sich in dem Autochen zurück und genoss es, zwischen Pinien und Palmen entlang eines Mittelstreifens mit blühenden Oleanderbüschen spazieren gefahren zu werden. Nach einer knappen halben Stunde waren sie in Peguera. Nachdem sich Leo geschickt durch diesen verwinkelten Touristenort, den er eine Hochburg deutscher Urlaubsfreuden nannte, gefädelt hatte, erreichten sie die exklusive Ferienanlage
Cala Fornells
. Leo stellte den Fiat auf den Parkplatz in einem Pinienwald, hob eine Einkaufstüte aus dem Kofferraum und dirigierte Irma über einen Trampelpfad durch den Wald. Als der sich öffnete, blieb Irma stehen und hielt die Luft an. Sie suchte nach einem Wort, das dieser Aussicht gerecht werden könnte. Sie fand es nicht, lehnte sich an Leo und entließ einen
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