Lemmings Himmelfahrt
Hosenbund steckt und dass er bis auf weiteres nicht gewillt ist, sie herzugeben, würde Bernatzky gewiss nicht goutieren. Der alte Herr liebt die Sprache der Wunden, aber jene der Waffen missbilligt er.
«Mitgenommen also … Verstehe …»
«Und die Jacke?», wirft der Lemming ein, um das Thema zu wechseln, «könnte die nicht beweisen …»
«Stell dich net blöd. Die Jacken is ein Nebbich, das weißt du genau. Die kannst dir bei mir abholen, falls dir einmal kalt is. Die Flecken hinten heißen nur, dass sie, die Jacken nämlich, dem Opfer den Rücken hingedreht hat. Du könntest sie ja übern Arm g’legt haben oder verkehrt herum an’zogen, was weiß ich. Die Jacken is höchstens ein Indiz, aber noch lang ka Beweis … Was anderes tät mich mehr interessieren: Den Buchwieser hast du also net gekannt?»
«Buchwieser?»
«Na, den toten Zyklopen, der nebenan bei mir im Kühlraum liegt … Ferdinand Buchwieser …»
«Ferdinand Buchwieser … Mit einem Christian Buchwieser hab ich einmal zu tun gehabt …» Im Hinterkopf des Lemming flackert ein Gedanke auf und drängt energisch ins Bewusstsein. Was hat ihm der Mann aus dem
Dreher
hinterhergerufen?
Glaubst, ich erwisch dich nicht, so wie du meinen Bruder erwischt hast?
«Der Fall Buchwieser … Natürlich! Vielleicht erinnern Sie sich, Professor …»
Wie lange das doch her ist … Die Sache mit Christian Buchwieser ist vor etwa sechs Jahren passiert, als er, der Lemming, noch mit Krotznig zusammengearbeitet hat. In mühevoller Kleinarbeit haben sie es damals geschafft, Buchwieser des Mordes an seiner Freundin zu überführen und ihn in einer Wohnung hinter dem Westbahnhof aufzustöbern. Der Fischhatte schon fast im Netz gezappelt, um dann doch noch durch eine der Maschen zu schlüpfen. Buchwieser hat Reißaus genommen; er ist, vom Lemming verfolgt, die Stiegen hinunter bis auf die Straße gerannt und hat versucht, mit seinem Auto zu entkommen. Die Flucht wäre ihm zweifellos gelungen, wäre der Lemming nicht, ohne zu zögern, vor den fahrenden Wagen gesprungen. Er wusste, dass Buchwieser kein kaltblütiger Killer war, sondern ein schüchterner und chronisch eifersüchtiger junger Mann. Buchwieser hätte ihn niemals überrollt, dessen war sich der Lemming sicher. Den Beweis für diese These sollte er allerdings schuldig bleiben, denn am Ende kam alles ganz anders: ein kurzer Knall, eine berstende Seitenscheibe und …
«Aber sicher kann ich mich erinnern, Wallisch. Major Krotznigs Meisterschuss, aus dreißig Metern glatt in die Schläfe … Ich hab die Leich gekriegt und ihr euern Fernsehauftritt …»
Es kommt dem Lemming vor, als sei es gestern gewesen: die grellen Scheinwerfer, die einfältigen Fragen der Journalisten und die widerlich selbstgefälligen Antworten Krotznigs, der sich nicht entblödete, vor laufenden Kameras seine Dienstwaffe zu küssen. Der Lemming hat damals stumm daneben gestanden, mitgefangen, mitgehangen, und er wäre am liebsten im Boden versunken, als ein launiger Reporter Krotznig und ihn
die zwei tollkühnen Sheriffs
nannte.
«Dann ist Ferdinand Buchwieser also Christians Bruder gewesen …»
«Bravo, Wallisch! Gefinkelt wie eh und je … Er hat den Krotznig und dich wahrscheinlich aus dem Fernsehen gekannt. Wer von euch beiden seinem kleinen Bruder den Schläfenlappen perforiert hat, dürft ihm ziemlich egal g’wesen sein. Wie er dich dann plötzlich im Kaffeehaus g’sehn hat … Na, was erzähl ich dir …»
«Verstehe … Ja, so muss es gewesen sein …»
«Was aber noch lang net heißt, dass du aus dem Schneider bist. Im Gegenteil: Wenn er ein Motiv g’habt hat, dich zu kompromittieren, dann hast du umso mehr eins g’habt, ihm das Aug auszuschießen …»
«Ich war’s aber nicht!»
«Schon gut, reg dich net auf. Der hysterische kleine Kerl, von dem du erzählt hast, was genau hat der g’sagt?»
«Ich weiß nicht … Es war alles ziemlich wirr. Etwas von Gottes Befehl, Gottes Gesetz. Und dass er nie wieder krank sein will …»
«Und der Buchwieser?»
«Das war seltsam. Ich bin sicher, die zwei haben sich gekannt.
Arschgeige
hat der Buchwieser gesagt, und
Oblatenstirn
. Und dann hat er ihn gefragt, wann man ihn rausgelassen hat …»
«Wo rausg’lassen?»
«Ich weiß nicht …»
Eine Zeit lang ist nur Bernatzkys leiser Atem zu vernehmen. Sein Schweigen klingt jetzt anders als zuvor, klingt versunken und grüblerisch. Der Lemming kann
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