Lemmings Himmelfahrt
ihre Adresse oder Kontonummer geben, versprech ich – spätestens morgen …»
«Aber selbstverständlich … Wieviel brauchen S’ denn … Ist mir auch schon passiert …»
Kaum eine halbe Stunde später hat der Lemming genügend Geld gesammelt, um alle schlüpfrigen Mehrwertnummern im pazifischen Raum anzurufen. Inzwischen am Gürtel angelangt, betritt er die nächste Telefonzelle.
«Institut für Gerichtsmedizin, Watzka!», bellt ein abgehackter Männerbass ins andere Ende der Leitung.
«Guten Tag … Ich hätte gerne … Professor Bernatzky, bitte.»
«Moment!»
Ein Knacken im Hörer, zwei, drei Sekunden verstreichen, doch dann heben die Streicher an, die vergnügten Violinen, die fidele Viola und das heitere Cello, um dem Lemming ein Privatkonzert zu geben, ihn aufzumuntern in seinem ganz privaten Konzerthäuschen, seiner schmutzigen Telefonzelle am Währinger Gürtel. Man spielt Mozarts Quartett Nummer 17,
Die Jagd
genannt. Man spielt es in das linke Ohr des Lemming, während er sein rechtes, der dreispurigen Fahrbahn zugewandtes, vor dem Lärm der Motoren zu schützen versucht.
«Blaschek, Sekretariat. Was kann ich für Sie tun?»
«Ich möchte gerne … Professor Bernatzky, bitte.»
«Momenterl, ich verbind Sie …»
Die Streicher streichen unermüdlich in der Warteschleife. Warum gerade Mozart?, überlegt der Lemming. Vielleicht eine forensische Anspielung auf den legendenumwobenen Tod des Komponisten? Ist Mozart am Ende doch von seinem Rivalen Salieri vergiftet worden?
«Kubitschek.»
«Ja … Bin ich da nicht bei … Professor Bernatzky?»
«Augenblick.»
Diesmal geht es schneller. Höchstens zwei Takte, nicht einmal lange genug für eine Umdrehung Mozarts in seinem Grab.
«Institut für Gerichtsmedizin, Watzka!»
Beherrschung, Lemming, Beherrschung. Jetzt nur nicht die Fassung verlieren. Ohne Höflichkeit geht hier gar nichts, das steht fest. Wenn er auch im Blinddarm von Watzkas unergründlichen Schaltkreisen gelandet ist, bleibt Watzka immer noch Pförtner dieser elektronischen Erlebniswelt. An Watzka führt kein Weg vorbei. Mit Watzka ist nicht zu spaßen, denn: Ohne Watzka kein Bernatzky.
«Bitte, wenn Sie so freundlich wären …»
Und wirklich: Vierzehn Schilling und ein halbes Köchelverzeichnis später ertönt endlich die vertraute Stimme aus dem Hörer:
«Bernatzky, wer stört?»
«Ich bin’s, Professor …»
«Wie können S’ denn
Ich
sein, wo ich doch grad bei mir am Schreibtisch sitz?»
«Ich mein, ich … Der Wallisch …»
Für einen Augenblick herrscht Stille, und diese Stille schockiert den Lemming zutiefst. Es ist allgemein bekannt, dass sich Bernatzky durch nichts und niemanden aus der Fassungbringen lässt. Wenn es ihm nun die Sprache verschlägt, dann muss die Lage katastrophal sein.
«Wallisch, Wallisch … Was hast denn diesmal wieder ang’stellt, du Dummerl …»
«Aber … gar nichts! Ehrlich, Professor …»
«Aha … Na dann … War nett, mit dir zu plaudern … Servus, Wallisch …»
«So warten S’ doch … Ich hab wirklich nichts getan …»
Wieder Stille am anderen Ende der Leitung. Bernatzky räuspert sich.
«In Ordnung. Dann erzählst mir jetzt, was da heut früh los war am Naschmarkt, und zwar Schritt für Schritt. Verstehst, Wallisch, ganz langsam erzählst du’s, damit’s auch ein alter Dodel wie ich begreifen kann.»
Und der Lemming hebt an zu berichten. Schon bald sprudeln ihm die Worte aus dem Mund, und er gestikuliert in seiner gläsernen Zelle wie ein Flaggen schwenkender Maat auf der Kommandobrücke.
«Du hast dich … was?», unterbricht ihn Bernatzky.
«Gewaschen. Ich hab mir die Sauerei abgewaschen …»
«Meiner Seel, Wallisch, du bist, mit Verlaub, ein Trottel. Tragst das Hirn am rechten Fleck und putzt es mir nix, dir nix weg … Dann warst du also das Schweinderl in der Karlskirche …»
Das Schweigen des Lemming ist Antwort genug.
«Also, pass auf», fährt Bernatzky fort, «ich will jetzt einmal, nur so zum Spaß, annehmen, dass dein abstruses G’schichtl wahr sein könnt. Obwohl sich der Spaß in Grenzen hält: Ich bin nämlich Hippokratiker, ka Hypothetiker … Aber bitte, meinetwegen. Wie weit, sagst du, war der Schütze von dir entfernt?»
«So an die zwei Meter …»
«Zu weit. Das bringt uns nix. Wo ist die Waffe geblieben?»
«Die hab … Die hat er mitgenommen», lügt der Lemming. Dass die Pistole in seinem
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