Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
Vom Netzwerk:
vorstellen, und der Franz hat net einmal g’wusst, wer seine Eltern san. Also haben wir uns halt so über Wasser g’halten; verschiedene Arbeiten, Lagerhaus, Heuriger, was es so gibt da draußen. Und dann, a halbes Jahr später, ab nach Wien   … Lärm und Dreck, a feuchtes Zimmer, Klo am Gang, und null Arbeit: Es war ka leichte Zeit, aber immer noch gut. Er hat net auf’geben, der Franz, wir schaffens schon, hat er immer g’sagt, wir schaffen das schon   … Und wirklich, drei Monat’ später hat er den Job da heroben aufg’rissen. Am Anfang hab i ’glaubt, wir sind im Paradies gelandet   … In der Stadt und trotzdem irgendwie am Land, a eigenes Haus, rundherum alles grün, sicheres Einkommen, sicheres Auskommen, und   … no immer frisch verliebt. Aber dann, nach a paar Wochen   …»
    Mit einer gedankenverlorenen Geste zieht Lisa Bauer nun den Morgenmantel enger, und sie tut es, wie dem Lemming scheint, nicht aus Schamhaftigkeit, sondern aufgrund eines plötzlichen inneren Kälteeinbruchs.
    «Nach a paar Wochen is alles anders worden. Der Franz is anders worden   … Immer stiller. Immer unfreundlicher. Immer misstrauischer. Er hat a nimmer mit mir   … Aber das brauchst net schreiben; also er is mehr und mehr vom Zuchtbullen zum Hornochsen worden. I hab keine Ahnung, warum. I weiß es einfach net. Und dann, eines Tages, hat er   … hat er das erste Mal zug’schlagen   …»
    «Zugeschlagen?», fragt der Lemming leise, obwohl er die Antwort schon kennt. Lisa Bauer wird es wohl kaum metaphorisch gemeint haben.
    «Ja. In die Goschen hat er mi g’haut, völlig ohne Grund, für nix und wieder nix.
In der Stadt, am Gürtel, gibt’s genug Huren
,hat er g’sagt.
Und die schauen wenigstens was gleich
… Dann hat er si’ ins Auto g’setzt und is g’fahren   …»
    Jetzt ist es der Lemming, dem ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Schwester Ines kommt ihm in den Sinn, Schwester Ines und ihre absurde Geschichte von den schlimmen Geistern. Wie hat sie es noch ausgedrückt?
Manchemal sie kommen hier und machen Unglück. Setzen sich auf die Seelen, machen die Menschen böse, verrückt   …
Der Lemming leert sein Glas, um sich am Zweigelt aufzuwärmen.
    «Er is dann immer öfter g’fahren, bald regelmäßig   …», spricht Lisa Bauer inzwischen weiter, «die Gürtelhuren müssen si’ ordentlich saniert haben in der Zeit   …»
    «Und die Schläge?»
    «Eher selten   … Wahrscheinlich war er zu müd dazu, vom vielen Schnackseln   …»
    «Aber warum   … warum bist du nicht, ich meine, warum hast du nicht   …»
    «Die Koffer gepackt? Mi verdrückt? Und wohin, wenn i fragen darf? Auf den Westbahnhof? Oder unter die Reichsbrücken? Oder gar ins Frauenhaus? Da bringen mi kane zehn Pferde hin, zu dem linken Emanzenpack   …»
    Lisa Bauer hat ihre Hausaufgaben gemacht, sie hat ihre
Reine
brav studiert. Und so setzt sie nun zu einem längeren Vortrag an, in dem sie alles Elend dieser Welt auf arbeitsscheue Sozialschmarotzer und ungewaschene Berufsdemonstranten zurückführt. «Du musst’s ja wissen», sagt sie schließlich zum Lemming, «du musst’s ja wissen, weil du sitzt ja an der Quelle   …»
    Der Lemming ringt sich ein indifferentes Grunzen ab. Er hat keine Lust auf politische Diskussionen; er will das bisschen Sympathie, das er inzwischen für die Pförtnerfrau empfindet, nicht gleich wieder verspielen. Er will ihre Geschichte hören, keinen Leitartikel aus der täglichen Journaille.
    «Wie ist es dann weitergegangen mit dem Franz und dir?»
    «Ja, also   … Der Franz hat a Zeit lang so weiterg’macht. Später hat er das Auto stehen lassen und hat seine Aktivitäten
Unter die Ulmen
verlegt. Er hat begonnen, da heroben die Weiber anzubraten. Und er hat kane aus’lassen: Schwestern, Ärztinnen, Besucherinnen, niemand war mehr vor ihm sicher. Vielleicht sogar die Patientinnen, ich will’s gar net wissen. Und dann, vor einem Jahr zirka   … hab i ihn erwischt, bei uns im Bett   … mit einem Madl aus der Wäscherei oben. Ganz jung war’s, zwanzig Jahr alt vielleicht   … I hab sie an den Haaren durchs Haus g’schleift, nackert, wie sie war, und hab sie bei der Tür hinaus’treten   … Der Franz hat am Anfang gar net kapiert, was los is, aber dann hat er losg’legt. So richtig losg’legt. Des da is nur a klanes Souvenir von damals   …» Lisa Bauer bleckt die Zähne. Entblößt das Loch in ihrem Gebiss. Fährt zwei-, dreimal mit ihrer Zungenspitze durch die

Weitere Kostenlose Bücher