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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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keine Taube, sondern ein Kuckuck is, dem er, der Ferdl, die Federn rupfen wird   … Er war völlig, i kann’s gar net beschreiben, irgendwie völlig   … überdreht.»
    «Sag, hat der Ferdl Zugang zum Arzneischrank gehabt?»
    Lisa Bauer braucht eine Weile, bis sie den Sinn der Frage versteht, bricht aber dann in ein kurzes, heiseres Lachen aus und schüttelt den Kopf.
    «Na, na, der Ferdl hat nix g’nommen. Sicher net. Der war immer nur auf Whisky, und das meistens erst am Abend   …»
    «Kryptisch   …», murmelt der Lemming, «sehr kryptisch   …»
    «I sag ja, es hat irgendwas mit Religion zu tun g’habt   … Aber das Allerkomischste hat er am Schluss g’sagt, der Ferdl.
Selig die Armen im Geiste
, hat er g’sagt,
weil ohne mei geisteskrankes Ass wär das ganze Blatt nix wert. Und weißt, wer mei Ass is? Mei Trumpf? Da kommst du nie drauf   …
»
    «Und? Hast du’s erraten?»
    «Ja wie denn? Er hat’s mir dann aber eh selber g’sagt.
Mei Ass
, hat er g’sagt,
mei Ass is der klane Autist, der Grock   …
»
    Lisa Bauer lehnt sich zurück und verfällt in bedeutungsvolles Schweigen. Mit großen Augen sieht sie den Lemming an, als erwarte sie nun die Lösung des Rätsels von ihm, vielleicht gar in Form eines mündlichen Leitartikels, fein ziseliert und wie aus der Pistole geschossen. Aber der Lemming hat keine Lösung parat, im Gegenteil: Er fühlt sich benommen, schwindligvom Wein und verwirrt von der seltsamen Geschichte der Pförtnerfrau. Pokerkarten und Bibelseiten flattern ihm durchs Gehirn, gefolgt von einem Kuckuck, der seine grauen Zellen vollends zum Kollabieren zu bringen droht; zu kompliziert, denkt der Lemming, viel zu kompliziert und abgesehen davon nicht meine Angelegenheit. Vielleicht will sich ja die Pförtnerin nur wichtig machen, indem sie den trockenen Kuchen der Realität mit dem Sahnehäubchen ihrer Phantasie versieht; mag ja sein, dass sie ihn, den Herrn Redakteur, mit ihrem schöpferischen Geist beeindrucken möchte   … Wie auch immer, es ist nicht mein Thema, entscheidet er kurzerhand. Hier geht es um nichts als um Balint und Buchwieser, um kleine, alltägliche Grausamkeiten, um Ohnmacht und Macht, Hass und Eifersucht. Und um einen Nachtwächter namens Wallisch, der gerade seinen Job verliert, weil er mal wieder nicht zum Dienst erschienen ist. Der Lemming beschließt, dieses Thema, das nicht seines ist, zu wechseln.
    «Er ist also alleine gegangen, der Ferdl. Ohne dich   …»
    «Ja   …
Das kann i nur allein durchziehen
, hat er g’sagt. Und dass i, also dass er si’ net mit mir   … belasten will.
I schreib dir dann a Ansichtskarte
, hat er g’sagt,
aus der Karibik
… Die Sau. Die miese, verschissene Mistsau   … I hab ihn dann nimmer g’sehen. Zwei Tage später war er fort. Und heut früh hab i’s in der
Reinen
g’lesen:
Ferdinand B., Krankenpfleger, im Herzen Wiens hingerichtet   …
Es is noch net heraußen, ob’s Schlepper oder Mädchenhändler g’wesen sind, aber das weißt du sicher besser, Poldi   … Oder?»
    «Ich   … Ja, also wenn ich das wüsste   …»
    «Ein Wahnsinn   …», Lisa Bauer reißt die Augen auf, deren Lider schon auf halbmast hängen, «ein Wahnsinn, was der Ferdl für einen Umgang g’habt hat. Vielleicht hat ja die klane Schwester, die schlitzaugerte, was mit der Sache zu tun   … Als ob wir net eh genug Fremde im Land hätten   …»
    Der Lemming grunzt. «Und dein Mann?», fragt er, um ein weiteres Mal die politische Kurve zu kratzen. «Der Franz? Ist der nach wie vor so umtriebig?»
    Die Antwort kommt nicht aus dem Mund Lisa Bauers. Die Antwort nähert sich von hinten. Denn im selben Moment dringt ein dumpfes Geräusch aus dem Flur ins Wohnzimmer: Draußen fällt quietschend die Haustür ins Schloss.
    «Wenn ma’n Teufel nennt, kummt er g’rennt   …», murmelt die Pförtnerin. Dann tritt Franz Bauer in den Raum.
    Breites Gesicht. Pockennarben. Ein blauer Overall. Es ist der Linksträger aus dem Siegfried-Pavillon; es ist Schwester Paulas Weichteilathlet   …
    Später Nachmittag, die Luft ist zum Schneiden. Auf dem Tisch ein Regiment geleerter Flaschen. Ein Mann und eine Frau im Schlafrock, schon reichlich betrunken: Das ist die Situation. Aber Franz Bauer stutzt nicht einmal.
    «Pass auf, dass d’ dir kan Tripper einfangst bei der Schlampen   …», meint er, zum Lemming gewendet, während er zügig den Raum durchquert.
    «Aber nein!» Der Lemming rappelt sich hoch, versucht zu besänftigen, wo es

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