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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Lücke und stopft sie dann mit einer neuen Zigarette. «Wenn der Ferdl damals net auf’taucht wär, tät i jetzt am Zentralfriedhof liegen, oder drüben im Siegfried-Pavillon, gleich neben dem Wichsmann   …»
    «Der Ferdl?»
    «Ja. Er is auf einmal in der Tür g’standen. Hat den Franz von mir weggezerrt und ihm eine aufs Aug g’haut. Er war mei Rettung, der Ferdl   …»
    «Verstehe», murmelt der Lemming, «verstehe   …» Und er kehrt in Gedanken zur hölzernen Bank vor dem Pförtnerhaus zurück, um die Ordnung der vier Steine zu korrigieren, die er vor einer knappen Stunde auf der Sitzfläche platziert hat. Einen der beiden grauen Kiesel wischt er wieder auf den Boden und drückt ihn mit dem Absatz tief ins Schotterbett, als wolle er ihn auf direktem Weg in die Hölle befördern. Schwester Ines’ mysteriöse Gespenster dürften wirklich ganze Arbeit geleistet haben, jedenfalls, was Franz Bauer betrifft. InAnbetracht des Bildes, das seine Frau von ihm malt, wirken Balint und Buchwieser plötzlich wie die reinen Waisenknaben   …
    «I bin dann a bisserl im Krankenhaus g’legen», erzählt sie nun weiter, «drüben im zwanzigsten Bezirk, der Arm war ’brochen und das Nasenbein, der Kiefer ausg’renkt, was halt so passiert im Eifer des Gefechts. Und jeden Tag hab i Besuch gekriegt   … net vom Franz. Sondern vom Ferdl   …»
    Es bahnt sich etwas an in der Geschichte Lisa Bauers. Schon kann der Lemming die folgende Wendung erahnen, schon schlägt er das nächste Kapitel auf; da müsste es die Pförtnerin gar nicht mehr in Worte fassen.
    «Du hast dir mit dem Ferdl ein Pantscherl angefangen   …»
    «Ja. Aber das brauchst net schreiben in der
Reinen
. Ja, i hab mi von ihm pudern lassen   … Und gut war’s. Zu gut   …»
    «Warum
zu
gut?»
    «Weil er   … weil i   … weil i bald scho so richtig auf ihn g’standen bin. Zu sehr eben. Er war so   … er hat mi net nur   … also, er hat auch g’sprochen mit mir, verstehst? I hab scho fast das G’fühl g’habt, i bin a Mensch für ihn, also jemand   … etwas   …»
    «Etwas Liebenswertes   …», murmelt der Lemming. Lisa Bauers Schweigen ist Bestätigung genug. Wortlos greifen die beiden zu ihren Gläsern und trinken.
    «Eines hab i leider dabei übersehen», fährt die Frau nach einer Weile fort, «nämlich dass der Ferdl selber ka Mensch war   …»
    «Wieso?»
    «Weil er bösartig war und verlogen dazu. Es hat ihm eine Freude g’macht, die Dodeln da heroben zu quälen. Die haben si’ net wehren können, eh klar, weil s’ schwächer waren als er.»
    «Und wie? Wie hat er das gemacht?»
    «Immer anders. Wenn einer net berührt werden wollt, hat ihnder Ferdl dauernd an’tatscht, wenn einer Platzangst g’habt hat, hat er ihn am Häusel eing’sperrt. Die Leut sind halbert durch’dreht, und er hat g’lacht, der Ferdl. Er hat seinen Spaß g’habt. Einer zum Beispiel, a ganz nervöser, dem hat der Ferdl immer erzählt, dass er seine Alte g’sehen hat, im Kaffeehaus oder wo.
Du,
hat er g’sagt,
heut is mir die Susi wieder übern Weg g’laufen.
I soll di schön grüßen lassen   … Das arme, klane Nerverl war immer total außer sich. Ka Wunder; die Frau is schließlich scho seit Jahren tot   …»
    «Balint!», stößt der Lemming aufgeregt hervor.
    «Richtig, Balint heißt der. Habe die Ehre, Poldi, du warst ganz schön fleißig seit heut in der Früh   …»
    «Weißt du noch mehr über diesen Balint?»
    «Musikant is er g’wesen, Geige hat er g’spielt. Und dann hat er so einen Bazillentick. Rennt immer mit weiße Handschuh durch die Gegend. Seit gestern is er angeblich abgängig, der Balint, is irgendwie ausg’rissen, ka Ahnung, wie. Das Tor is immer zug’sperrt, außer bei den Besuchszeiten, und dann passt der Franz draußen auf.»
    Dann ist es also doch so gewesen, denkt der Lemming. Dann hat Buchwieser, dieser schmierige Stecktuchsadist, Balint so lange gequält, bis der die zerrütteten Nerven vollends verloren hat. Buchwieser hat sich seinen eigenen Mörder, sein eigenes kleines Monster herangezüchtet; er ist gewissermaßen auf Frankensteins Spuren gewandelt. Wie dem Geiger die Flucht aus der Anstalt gelungen ist, bleibt allerdings offen. Rätselhaft auch, dass Balint anscheinend wusste, wo Buchwieser seinen letzten Morgen verbringen würde. Und dass er – laut Lotte Lang jedenfalls – erst nach der Kündigung Buchwiesers so richtig aus der Haut gefahren sein soll. Sei’s drum, denkt der Lemming. Er weiß

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