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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Dieter, der Tobler, mit knallrotem Rauschebart und Jesusschlapfen. Sie waren Studienkollegen, obwohl der Hardy, also der Doktor Lang, damals schon seine Facharztausbildung gemacht hat. Hier heroben übrigens, in der Ulmenklinik   … Jedenfalls sind wir bald fünf im Jeep gewesen, obwohl ich mit Medizin überhaupt nichts am Hut hatte; ich hab Malerei studiert, auf der Akademie   … Aber ich will Sie nicht langweilen   …»
    «Das tun Sie nicht   … Das tun Sie wirklich nicht.»
    «Wenn Sie meinen   … Den romantischen Teil werd ich Ihnen aber trotzdem ersparen, weil ich   … Es ist nur   … Der gehört ganz allein   …»
    «Ihnen beiden   …»
    «Ja. Dem Robert und mir   … Wir haben nach eineinhalb Jahren geheiratet, am 1.   Juli 1984.»
    «Dann hätten Sie übermorgen Hochzeitstag   …»
    Rebekka blickt auf, erschrocken beinahe, und starrt den Lemming an.
    «Wir
haben
übermorgen Hochzeitstag.»
    «Entschuldigung   … Es tut mir Leid. Das war dumm von mir   …»
    «Schon gut   … Der Robert und ich, wir sind beide ziemlich religiös erzogen, müssen Sie wissen. Nach dem Standesamt haben wir kirchlich geheiratet   … Kennen Sie die Servitenkirche in der Rossau?»
    Und wie!,
will der Lemming rufen.
Ich wohne dort, schräg gegenüber!
Er schafft es im letzten Moment, sich zu zügeln.
    «Ich weiß nicht genau   … Schon möglich   …»
    «Ein kleines Juwel. Eine der wenigen Barockkirchen, die die Türkenbelagerung überlebt haben, obwohl sie in der damaligen Vorstadt standen. Wie auch immer, nachher ist die ganzeGesellschaft auf den Bisamberg gefahren, um zu feiern. Im Magdalenenhof, wunderschön, ein ehemaliges Jagdschloss mit einem herrlichen, riesigen Park   … Es war sonnig und warm, all unsere Freunde waren da, Musik und Essen und Wein im Überfluss, und wir in der Mitte, der Robert und ich. Er hat mich ganz fest gehalten; ich glaub, ich wäre sonst davongeschwebt vor Glückseligkeit   … So viel Glück hat sich wahrscheinlich niemand verdient. Ich hab’s mir seither oft gedacht: So viel Glück hat sich kein Mensch verdient. Es hat auch nicht lange gedauert   …»
    «Was ist geschehen?», fragt der Lemming leise.
    «Wir haben unseren letzten Tanz getanzt. Der Robert hat auf die Uhr geschaut und hat mich geküsst, zum Abschied gewissermaßen.
Zeit, mir einen Schuss zu setzen
, hat er gesagt und ist ins Haus gegangen. Er hat das oft gesagt: Galgenhumor. Er ist zuckerkrank. Hat dreimal am Tag sein Insulin gebraucht   … Eine halbe Stunde später haben wir ihn dann auf der Toilette gefunden. Er ist bewusstlos am Boden gelegen   … wie ein wirklicher Fixer nach dem goldenen Schuss, blutig geschlagen vom Sturz, Ampulle und Spritze neben sich   …»
    «Und   … dann?»
    «Der Rest war Schweigen   … Man muss sich das vorstellen, ein Haus voller Ärzte, Neurologen noch dazu, und keiner kann etwas tun dagegen. Gehirninfarkt   … Der Hardy Lang hat sofort auf einen hypoglykämischen Schock getippt, also einen plötzlichen Abfall des Blutzuckerspiegels. Das passiert hin und wieder bei Diabetikern, wenn sie versehentlich zu viel Insulin abbekommen   … Sie sehen, ich hab meine Hausaufgaben gemacht, nur leider zu spät   … Der Hardy hat also begonnen, in Roberts Taschen zu wühlen, bis er eine andere Spritze gefunden hat. Glucagon, also quasi das Gegenmittel zum Insulin. Die meisten Zuckerkranken haben das bei sich,für alle Fälle. Nur   … in diesem Fall war nichts mehr zu machen. Das Gehirn war schon zu lange unterversorgt   …»
    Rebekka verstummt; die Macht der Erinnerung knebelt die Worte.
    «Es tut mir so Leid für Sie   …», flüstert der Lemming. Selbst sein Flüsterton erscheint ihm noch zu laut. Er sieht Rebekka Stillmann an, betrachtet ihr Gesicht, auf dem sich Wut und Trauer mischen, und ihre Hände, die sich jetzt zu kleinen, harten Fäusten ballen.
    «Er war gerade zweiundzwanzig Jahre alt, der Robert. Schlank und kräftig, kein verfressener alter Knacker   … Verstehen Sie das? Ich nicht. Bis heute nicht. Man hat zwar angenommen, dass an diesem Tag sein ganzer Zuckerhaushalt durcheinander geraten ist – wegen der Hochzeit   … Der Robert hat Wein getrunken, getanzt, alles Dinge, die den Blutzuckerspiegel ohnehin schon senken. Und dann noch die Spritze   … Aber ich verstehe trotzdem nicht, wie das passieren konnte. Ich verstehe   … Gott nicht. Wissen Sie, was der Robert oft zu mir gesagt hat?
Ich will dir für immer zu Füßen liegen
,

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