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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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  …
    «Ärmel hoch, hab ich gesagt.»
    Der Lemming tut es, mehr übel als wohl   …
    Inzwischen entpuppt sich der Mantel des Arztes als unerschöpflicher Fundus: Aus einer anderen Tasche zaubert Tobler eine bereits gefüllte Spritze hervor. Legt sie neben sich aufs Bett und reinigt die widerwillig entblößte Armbeuge des Lemming.
    «Herr Doktor?»
    «Ja?»
    «Ist das richtig? Ich meine, wird Tetanus intravenös   …»
    Aber zu spät: Tobler hat bereits zugestochen.
    «Das
ist
keine Tetanusspritze   …», meint er ruhig.
     
    Sich vorbeugen, zusammenkrümmen. Ein wenig wimmern dabei: Erschütterung, Verzweiflung markieren. Dann aber schlagartig hochfedern, den Scheitel voran, und seinen Schädel mit aller Kraft in Toblers Fratze krachen lassen. Es geht um die richtige Schwerpunktverlagerung: vorbeugen, zielen, hochschnellen. Den Arzt entwaffnen, ihn unschädlich machen. Mit der Pistole hinüber ins Schwesternzimmer laufen. Nachtdienst, also: die Schwester wecken und dazu überreden, Bernatzky anzurufen. Fragt sich, wer Nachtdienst hat: Ines wird keine Probleme machen. Paula schon eher, diese bornierte Sau mit ihrem kugelsicheren Speckmantel. Gibt es da drüben ein Telefon? Sicherlich. Bernatzky wird mindestens eine Stunde brauchen, um hier zu sein. Eine halbe, vielleicht auch weniger, um das Gift zu bestimmen. Und dann? Gibt es ein Gegenmittel? Eines, das auch zu beschaffen ist? Man wird sehen. Jetzt aber: vorbeugen, hochschnellen   …
    Der Lemming schafft es nicht mehr: Zu rasch setzt die Wirkung der Spritze ein. Warm ist ihm plötzlich, fast unerträglich warm. Sein Herzschlag beschleunigt, wird fiebrig und drängend wie das Stampfen von Tieren im Schlachthof. Unddann sein Körper, die Glieder: als hätte man kochendes Blei hineingegossen. Ungläubig starrt er auf seinen Arm, auf die Hände, die er zu heben versucht: Nichts geschieht, nicht das Geringste. Unmöglich, sich noch zu bewegen, der Schwerkraft zu trotzen. Sie drückt ihn in den gepolsterten Sitz des Rollstuhls, umklammert ihn unerbittlich, legt sich um seine Brust, um seine Lunge wie ein eiserner Gurt. Auch scheint die Luft dicker geworden zu sein, sie presst sich nur noch pfeifend durch die Bronchien. Der Lemming röchelt, von Panik erfasst. Ich werde ersticken, denkt er. Ich werde ersticken   …
    «Sie werden’s überleben», sagt Dieter Tobler im selben Moment. «Nur immer ruhig atmen, Herr Wallisch, ganz ruhig und konzentriert, verstehen Sie? Es ist keine tödliche Dosis   … hoffe ich jedenfalls. Kennen Sie Curare? Das indianische Pfeilgift. Also, was ich Ihnen gegeben hab, ist so ähnlich. Ein so genanntes Muskelrelaxans. Sie werden eine Zeit lang gelähmt bleiben, eine halbe, drei viertel Stunde vielleicht. Ich hab nämlich noch was zu erledigen, etwas, wozu ich beide Hände brauche, aber keinen Assistenten. Obwohl   … Sie können doch was für mich tun: Sie können solange die Pistole halten.» Mit einem schalkhaften Grinsen legt Tobler die silberne Pistole in den Schoß des Lemming. Er schiebt den Rollstuhl ein Stück von sich weg und steht auf.
    «Ein paar Dinge müssen Sie mir auch erklären, wenn Sie wieder reden können. Zum Beispiel, wie Sie aus der Waschküche rausgekommen sind. Haben Sie etwa Freunde bei der Polizei? Oder haben S’ mich am Ende gar angeschwindelt, Sie Schlingel, so eilig, wie Sie’s plötzlich gehabt haben? Sind Sie gar nicht auf die Nase gefallen, sondern   …» Tobler lacht auf und schüttelt den Kopf. «Sie sehen, Herr Odysseus: Ich trau Ihnen inzwischen schon fast alles zu. Auch, dass Sie sich mit unseren braven Staatsorganen herumschlagen, nur um Ihren Urlaub
Unter den Ulmen
noch ein bisserl länger genießen zukönnen   … Jedenfalls haben Sie’s geschafft, meine ganze Planung zunichte zu machen   …»
    Dieter Tobler verfällt in einen lockeren Plauderton, während er zu Robert Stillmanns Nachttisch tritt und ihn ans Fußende des Bettes rollt.
    «Und dann, warum Sie überhaupt in den Keller gegangen sind. Sie müssen doch längst gewusst haben, dass mit der Einladung etwas nicht stimmt. Ach ja: Ich war vorhin kurz in Ihrem Zimmer und hab die zwei rosa Brieferln mitgenommen. Sie haben hoffentlich nichts dagegen?   … Gut. Das beruhigt mich. Der Brief, den ich dem Herrn Balint im Namen vom Buchwieser geschrieben hab – ein kleines
Scherzo
meinerseits, um unseren nervösen Geiger zu seinem
Finale forte
vor dem
Café Dreher
anzustacheln: Ich hab eigentlich angenommen, dass er den Brief

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