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Lemmings Himmelfahrt

Lemmings Himmelfahrt

Titel: Lemmings Himmelfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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unverbrüchlicher Wille, den Lemming höchstselbst zu vernichten, hat wie ein trotziges Schweigen über der Landschaft gelegen. Keine Verstärkung, kein Suchtrupp, nur dieser stille, schwarze Wald, durch den Tobler den Rollstuhl geschoben hat: ein Totenacker für den letzten Hoffnungsschimmer, ein Friedhof wohl auch für den Lemming selbst.
    Die üblichen Phasen der Enttäuschung? Nein. Da war einfach keine Kraft mehr für Entsetzen und Wut und Verzweiflung. Stattdessen ist der Lemming gleich zur Müdigkeit übergegangen. Hat die Augen geschlossen, hat endgültig kapituliert. Ist fast auf der Stelle eingenickt, den einzigen, letzten Gedanken im Kopf: Krotznig, du verbohrter Supertrottel   …
    Und wieder ist es nicht vorbei gewesen. Wieder nicht   …
    Die Wirkung der Spritze ist abgeklungen, der Druck nach und nach von der Brust des dösenden Lemming gewichen. Er ist nicht erstickt. Natürlich nicht. Tobler hatte ihm ja die versprochene Wahrheit noch nicht präsentiert   …
    Jetzt liegt sie vor ihm, die Wahrheit: das lederne Notizbuch, das ihm der Arzt zum Schluss in seinen Kerker geworfen hat. Rosafarbene Seiten, ungelenke Schrift: die Offenbarung des Dieter, das dritte Testament, die Bibel dieses selbst ernannten apokalyptischen Gottes   … Toblers Vermächtnis. Der Lemming räuspert sich, dass es von den nackten Wänden hallt, und spuckt auf das Buch. Kaum widersteht er dem ungeheuren Drang, es zu zerreißen, zu verbrennen. Doch es macht keinen Sinn, das Machwerk zu vernichten: Tobler wird es noch einmal schreiben. Wahrscheinlich besitzt er bereits ein Duplikat. Nächste Woche wird er es Simon zum Geburtstag schenken. Simon, seinem jungferngeborenen Sohn   …
    Aber der Reihe nach.
    Irgendwann hat der Arzt den Lemming sanft an der Schulter gerüttelt. «Tut mir Leid, dass ich Sie wecken muss», hat er ihm zugeraunt. «Ich hoffe, es geht Ihnen besser; wir sind gleich am Ziel   …»
    Ein paar Meter ist es noch durch das Unterholz gegangen, dann haben sich vor den Augen des Lemming die Zweige geteilt und den Blick auf ein mehr als verblüffendes Bild freigegeben. Wild umrankt erhob sich da eine Kathedrale im silbernen Mondschein, als wäre sie eben erst aus dem Boden gewachsen. Ein winziger Dom allerdings, schon eher ein Dömlein, und dennoch schien es mit seinen großen Geschwistern in Wettstreit treten zu wollen: Schlank und elegant schraubten sich Pfeiler und Türmchen in die Höhe; das filigrane Giebelwerk, die verspielten Friese wirkten wie in der Bewegung erstarrt. Erst bei näherer Betrachtung hat derLemming gemerkt, wie verfallen das Bauwerk in Wirklichkeit war; abgeblättert der Verputz, brüchig die Ziegel darunter, die hohen Spitzbogenfenster vermauert und blind.
    «Und hier unser kleines Architekturjuwel», hat Tobler mit dem leicht gelangweilten Tonfall eines unterbezahlten Fremdenführers gesagt. «Die Sisi-Kapelle. Es handelt sich um das seltene Exemplar eines im, ich würde sagen, postromantisch-gotizistischen Stil entworfenen Mausoleums. Errichtet im Jahr 1854 anlässlich der Hochzeit unseres seligen Kaisers Franz Joseph mit seiner reizenden Sisi. Der Erbauer, ein gewisser Freiherr von Sothen, ist übrigens später von seinem Oberförster erschossen worden, und wissen Sie, wie der Förster g’heißen hat? Hietler hat er g’heißen, aber das nur nebenbei   … Der Freiherr und seine Frau haben hier jedenfalls ihre letzte, wenn auch ein bisserl unruhige Ruhestätte gefunden. Im Zweiten Weltkrieg ist die Kapelle schwer beschädigt worden, dann peu à peu ausgeplündert und angeblich sogar von Teufelsanbetern entweiht – schwarze Messen, sag ich nur. Deshalb hat man sie schließlich zugemauert. Aber   …», Tobler ist nun an die Seite des Lemming getreten und hat die Pistole gehoben, «aber wir haben keine Mühen und Kosten gescheut, um unseren interessierten Gästen einen Blick ins Innere zu ermöglichen   … Können Sie aufstehen? Natürlich können Sie: Wenn Ihr Leibarzt das sagt   …»
    Und ein weiteres Mal hat der Lemming gehorcht. Ihm wäre auch nichts anderes übrig geblieben: keine Wäschemangel weit und breit, und die Kraft in seinen Gliedern hat gerade noch dazu gereicht, um sich auf schwankenden Beinen zu halten. Also ist er, Tobler voran, auf die Grabstätte zugetorkelt. Der Arzt hat ihn mit Waffe und Taschenlampe um das Gebäude dirigiert, bis er zu einem hohen Gebüsch an der Seitenfront gelangte.
    «Bitte einzutreten», hat Tobler gesagt und das Dickicht angestrahlt.Und

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