Lemmings Himmelfahrt
Apotheke, die ich über die Jahre verpachtet hatte, suchte dann mit einem Teil des Erlöses einen jungen Frauenarzt auf, den ich aus meiner Studienzeit kannte, und machte ihm ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte. Es kostete mich einen Batzen Geld und auch ein wenig Überredungskunst, doch schließlich war er bereit, das Ungesetzliche zu tun, der Jungfrau nämlich ohne Einverständnis ihres Mannes dessen Samen einzupflanzen.
Die Aktion musste nicht nur des Nachts geschehen, sie musste auch mehrmals vonstatten gehen: Wie der Frauenarzt uns wissen ließ, kommt es nur äußerst selten vor, dass eine künstliche Befruchtung auf Anhieb funktioniert. Zudem wurde das Krankenhaus, in dem ich beschäftigt war und in dem auchder Brave seine Wurzeln geschlagen hatte, als geschlossene Anstalt geführt. Ich schlich mich also alle vier Wochen, wenn die Heilige fruchtbar war, zur Pforte, um sie ihr und dem Gynäkologen zu öffnen. Trotz aller Umsicht mussten wir damit rechnen, dass uns über kurz oder lang ein Paar neugieriger Augen entdecken und dass schon bald Gerüchte über unser nächtliches Treiben kursieren würden. Das kam mir gar nicht ungelegen: Niemand sollte Zweifel an der Herkunft des Kindes hegen, wenn es denn einmal heranwuchs.
Einmal im Monat breitete der Frauenarzt seine Instrumente in einem unbenutzten Raum aus, der an das Zimmer des Braven grenzte. Nebenan machte sich indessen die Jungfrau an die Arbeit, getrieben von ihrer Mission, wenn auch nicht ganz ohne schlechtes Gewissen. Ihre Kleider konnte sie vorerst noch anbehalten, aber Hand anlegen musste sie trotzdem: Der Zapfhahn ihres Mannes hatte keine Fernbedienung.
Mir war die Aufgabe zugedacht, Wache zu stehen. Ich sollte vor der Zimmertür warten, bis der Brave fertig gemolken war und mir die Heilige den Gral herausreichte, den sterilen Becher nämlich, in den sie seinen Samen gefüllt hatte. Während sie ans Bett ihres Mannes zurückkehrte, um dem doch eher nüchternen Akt einen Touch von Romantik zu geben, ging ich ins Nebenzimmer und kredenzte dem Gynäkologen den frisch gepressten Lendensaft.
Er hatte ein rundes, elektrisches Gerät aufgebaut, eine Zentrifuge, wie er mir erklärte, die dazu diente, die kräftigen von den schwächlichen Samentierchen zu trennen. Er goss die Spermien in ein Röhrchen und schleuderte sie: Wer der Fliehkraft widerstand, der zählte zur Crème de la Crème, wer sich aber nach außen treiben ließ, der hatte bereits verloren. Ein politisch höchst lehrreicher Vorgang also, der da am Anfang des Lebens stand … Die so gewonnene Elitetruppe wurde dann in einen biegsamen Plastikschlauch umgefüllt, wosie marschbereit auf ihren Kreuzzug in die Heilige wartete. Ich ging also, um sie zu holen, und bezog wieder meinen Posten vor der Tür, bis die Sache für dieses Mal erledigt war.
Wie ich erwartet hatte, begann man schon bald über uns zu munkeln, und wie es der menschlichen Natur nun einmal entspricht, ist es von der Fama bis zur Infamie nicht weit: Schon beim dritten Befruchtungsversuch tauchte unvermittelt der Krawattenmann auf und stellte mich zur Rede. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er das verbotene Spiel durchschaut hatte, erhob seine Stimme und gestikulierte wie einer, der die moralische Entrüstung vor dem Spiegel trainiert hat. Was er in Wirklichkeit bezweckte, war mir völlig klar: Endlich hatte er eine vermeintliche Schwäche bei mir gefunden, die ihm die Möglichkeit gab, meinen Ruf zu beschädigen und mich bei der Obrigkeit anzuschwärzen. Es war natürlich nichts Persönliches, es ging ihm nur darum, meine beruflichen Chancen zu schmälern, um die seinen zu wahren.
Was soll es schon bringen, sich Feinde zu machen? Der mühsame Weg, auf dem er in den Himmel strebte, interessierte mich nicht. Ich brauchte nicht mehr hoch hinauszuwollen. Ich war es schon längst … Also gab ich kurzerhand klein bei: Ich erklärte mich bereit, zu seinen Gunsten auf die Pfründe zu verzichten, die man mir in Aussicht gestellt hatte. Dafür sollte er sich in Schweigen hüllen und unsere Unternehmung für sich behalten.
Er war zufrieden, und ich war’s nicht minder, denn ich hatte erreicht, was ich wollte. Vom standhaften Schweigen des Krawattenmanns gedüngt, sprossen bald neue Gerüchte aus dem Boden, verdrängten die alten und warfen ein strahlendes Licht auf mich: Man liebte mich für das, was ich getan hatte. Ich war der selbstlose Retter und Held der heiligen Jungfrau …
Am Anfang war das Wort, und das Wort
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