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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Blühen und Pulsieren bringen, was man – alleine am Schreibtisch daheim – in die Welt gesetzt hat?»
    «Nein, das weiß ich nicht. Aber es muss wohl ein schönes Gefühl sein. Und dazu noch der Applaus, die Medien, das Rampenlicht   …»
    «Wenn Sie glauben, dass es mir darum gegangen ist, täuschen Sie sich gewaltig. Aber zugegeben, ja, es war natürlich auch ein Engagement, mit dem ich mich – gewissermaßen in der Oberliga – profilieren konnte.»
    «Was weitere Aufträge bedeutet.»
    «Irgendwann läuft das Werkel, wie man so sagt, von selbst. Dann kann man langsam zurückstecken, wählerisch werden: Was mache ich in welchem Zeitraum, was lehne ich ab, weil’s mich nicht interessiert. Dann kann man nach und nach seine Schulden begleichen: die finanziellen bei der Bank, die zeitlichen bei seiner Frau und   …»
    «Und?»
    «Was und?»
    «Sie haben
und
gesagt.
Bei seiner Frau und
…»
    «Bei seiner Familie eben: bei seiner Frau und seinen Kindern. Wir wollten ja schon damals welche, aber wir haben uns entschlossen, noch zu warten, bis das Werkel einigermaßen in Schwung kommt. Ich war ja nicht der Einzige, der sich in die Arbeit gekniet hat: sie ja genauso, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Tontechniker gibt es wie Sand am Meer; als Frau kann man sich da gleich eingraben.»
    «In den Sand.»
    «Am Meer, aber leider nur bildlich gesprochen: Urlaub war für die nächsten Jahre sowieso nicht drinnen, weder zeitlich noch finanziell. Das war uns beiden klar. Anfang achtundneunzig sind wir in der D’Orsaygasse eingezogen, nachdem wir die Wohnung mit dem Nötigsten eingerichtet hatten. Alles ist nach Plan gelaufen, nein, besser als nach Plan, viel besser: Wir haben einander genossen, die Räume genossen, das Licht, die Stille, den Duft aus unserer Kaffeemaschine. Langsame, ruhige und arbeitsame Tage sind das gewesen; nie zuvor ist mir das Schreiben leichter von der Hand gegangen, das Mich-Versenken, das Phantasieren und gedankliche Schweifen. Ende April war ich meinem Plansoll weit voraus; ich hatte ja Zeit bis zum nächsten Frühjahr, um die erste Fassung abzuliefern. Der Frühlingsbeginn vor unseren Fenstern war wie eine Belohnung: Du stehst auf und schaust aus dem Fenster, und da grünt und blüht dir ein kleiner Urwald entgegen. In der Dämmerung hat man den Gesang der Amseln gehört, und im Mai ist das Zirpen der Grillen dazugekommen. Wir haben gekocht und Rotwein getrunken, und oft sind wir stundenlang vor den offenen Fenstern gesessen und haben ins Dunkel hinausgelauscht.»
    «Das klingt wirklich   … idyllisch.»
    «Ich habe nichts gegen Idylle. Solang man nicht zu blumig darüber schreibt. Und abgesehen davon   … hat sie ja nicht so lange gedauert, unsere Idylle.»
    «Die Ratte ist aufgetaucht   …»
    «Die Ratte, ja. Das Schwein. Die schmierige Sau. Für den Fall, dass Sie Ratten und Schweine mögen, verzeihen Sie mir bitte, aber ich kann seinen Namen nicht aussprechen, ich kann ihn nicht in den Mund nehmen. Eines Tages im Mai ist er vor unserer Tür gestanden, dieser aalglatte, widerwärtige Mensch. Durchschnittlich gebaut, und trotzdem irgendwie   … verwachsen. Ein halsloser Mensch mit krummem Rückgrat, aufden ersten Blick, aber wenn man ihn genauer betrachtet hat, dann war da gar kein Buckel. Es war nur seine Haltung, seine innere Haltung, es war eine ethische Deformation, ein quasi feinstofflicher Buckel also. Wie ein freundlicher, sonniger Tag, der das Gewitter schon in sich trägt.»
    «Er war freundlich?»
    «Er war blond. Und er hat gelächelt.» 
    «Was wollte er?»
    «Sich vorstellen, scheinbar. Aber in Wahrheit wollte er uns inspizieren und einschätzen, uns auf den Zahn fühlen. Wie schön, uns kennenzulernen, neue, sympathische Parteien im Haus zu haben und so weiter. Falls wir wohnungstechnisch etwas brauchten, hat er gemeint, könnten wir uns jederzeit an ihn wenden, er habe nämlich eine kleine Baufirma und würde uns natürlich einen Sonderpreis machen. Der arme Kerl, habe ich mir gedacht, muss bei seinen eigenen Nachbarn hausieren gehen. Aber wie ich dann seine Visitenkarte lese, komme ich drauf, dass der gar nicht im Haus wohnt, sondern draußen im achtzehnten Bezirk. Später ist mir dann klargeworden, warum: Man scheißt sich eben nicht ins eigene Nest, noch nicht einmal als Ratte.»
    «Das versteh ich jetzt nicht. Wenn er nicht da gewohnt hat, was hat er dann in der D’Orsaygasse zu suchen gehabt?» «Ganz einfach: Ein Großteil des Hauses hat ihm gehört. Der

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