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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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Dachboden, mehrere Wohnungen, das gesamte Parterre, alles in seinem Besitz. In seinem und in dem seiner Partner, um genau zu sein. Ein Grüppchen von Leuten, die ihre klebrigen Finger überall hineingesteckt haben, wo die Chancen gut standen, dass Geld daran hängenbleibt. Abstruse, ständig wechselnde Firmenkonstruktionen, dubiose Gesellschaften und Stiftungen, ein schwammiges Hin- und Herschieben von Immobilien, alles, womit man sich bereichern und gleichzeitig Steuern   … sparen kann.»
    «Jetzt hätten Sie fast
hinterziehen
gesagt.»
    «Es ist legal. So wie alles legal war, was die Ratte getrieben hat. Baufirma? Ja, meinetwegen. Aber seine eigentliche Profession war, immer haargenau zu wissen, wie er andere Leute übervorteilen kann, ohne dafür vor den Kadi gezerrt zu werden. Ein Soziopath, ein ehrloses, mieses Stück Dreck. Nur habe ich das damals noch nicht ahnen können. Als er ein paar Wochen später wieder zu uns gekommen ist, habe ich hereingebeten. Und kurz darauf den Fehler meines Lebens gemacht.»
    «Wieso? Was haben Sie   …»
    «Ich habe etwas unterschrieben. Es ging um den Dachboden und um den Hinterhof. Kennen Sie sich mit Eigentumswohnungen aus?»
    «Es ist mir erspart geblieben, mir so viel erspart zu haben.»
    «Danke für den Kalauer. Jedenfalls müssen Sie wissen, dass man in seiner Wohnung bauen kann, was immer man will: Kegelbahnen, Tanzsäle, Schwimmbecken, alles. Solange es den Vorschriften entspricht, können sich Ihre Nachbarn auf den Kopf stellen. Aber für Umbauten am Dach und an der Fassade brauchen Sie die Zustimmung jedes einzelnen Miteigentümers. Weil die dann – alle zusammen – dafür einstehen müssen. Gegenüber der Baupolizei und gegenüber den Besitzern der angrenzenden Grundstücke. Soweit zur Gesetzeslage; ich habe sie studiert, wenn auch zu spät. Die Ratte hatte vor, den Dachboden auszubauen und das Haus aufzustocken. Also hat er die Unterschriften gebraucht. Außerdem wollte er den Hof – unseren grünen Dschungel – zubetonieren, um Parkplätze zu errichten. Ein Gatter für heilige Blechkühe, mit einer Einfahrt quer durch das Haus. Das muss man sich erst einmal vorstellen.»
    «Und Sie haben ihm trotzdem die Erlaubnis gegeben?»
    «Nicht für den Hof, aber wirklich nicht. Ohne uns, das haben wir beide gesagt. Worauf die Ratte so ein trauriges Gesicht gemacht hat, dass wir fast schon ein schlechtes Gewissen hatten. Wie auch immer, er hat gemerkt, da ist nichts zu holen fürihn. Und hat sich voll darauf konzentriert, uns den Dachausbau schmackhaft zu machen. Eineinhalb Jahre würde die Baustelle dauern, allerlängstens, und davon höchstens acht Wochen, in denen es zu einer – wie hat er das noch gesagt?– zu einer
geringfügigen
Beeinträchtigung der Anwohner käme. Die anderen hätten schon zugestimmt; meine Unterschrift sei die letzte, die ihm noch fehle. Außerdem würde er die Kosten für eine Sanierung der Leitungen und der Fassade übernehmen. Und einen Lift einbauen. Es war schon eine nette Aussicht, mit seinen Kindern im Aufzug hochfahren zu können und sich auch später – im Alter – nicht mehr in den dritten Stock mühen zu müssen. Trotzdem haben wir noch gezögert. Bis er mit seinem letzten Trumpf aufgefahren ist: Er hat uns ein Stück der Terrasse versprochen, eine Dachterrasse für alle Bewohner des Hauses. Das hat den Ausschlag gegeben.»
    «Kann ich verstehen.»
    «Man ist ja nicht umsonst Schriftsteller. Es tauchen ja umgehend Bilder auf, wie man da oben sitzt, über den Dächern im Abendrot, oder wie man zu Silvester das Feuerwerk über Wien betrachtet, ein Meer aus Lichtern bis hin zum Kahlenberg, mit einem Glas Sekt in der Hand. Ich habe ihn also gefragt, ob er denn wirklich dafür bürgen könne, dass der Baulärm nicht länger als zwei Monate dauern würde. Habe ihm mindestens fünfmal gesagt, dass ich bei meiner Arbeit auf Ruhe angewiesen sei und dass ich terminliche Verpflichtungen hätte. ‹Selbstverständlich, selbstverständlich›, hat er geantwortet. Das war seine Standardfloskel: Selbstverständlich, selbstverständlich, so wie man sagt: Ich gehe rasch Milch holen.»
    «Und dann haben Sie unterschrieben.»
    «Nicht nur die Zustimmung, nein, gleich eine Generalvollmacht. Das sei so üblich, hat er gesagt. Damit er uns nicht wegen jeder Kleinigkeit belästigen muss   …»
    «Erzählen Sie weiter. Woran denken Sie gerade?»
    «Daran, wie es   … begonnen hat. Wir haben gelacht, als es begonnen hat, im Oktober achtundneunzig.

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