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Lemmings Zorn

Lemmings Zorn

Titel: Lemmings Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Slupetzky
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in die Küche zurückgekehrt, hat ihn Lehner – nach wie vor in manierlicher Sitzposition – um einen Aschenbecher gebeten.
    «Nicht hier», hat der Lemming gesagt. «Sie wissen schon, wegen dem Kind   … Lassen Sie uns doch draußen ein paar Schritte machen.»
    «Meinetwegen. Aber nur, wenn   … Haben Sie die Schlüssel mit?»
    «Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Kommt ganz auf Ihre Geschichte an.» Eine stoische, regelrecht cineastische Antwort. Gezügelter Zorn, hat der Lemming gedacht. Man könnte sich glatt daran gewöhnen.
    Aus ein paar Schritten sind viele geworden, sehr viele. Die Männer sind Seite an Seite stadteinwärts gegangen, haben sich – wortlos zunächst – in östlicher Richtung bewegt. Erstnach einer guten Viertelstunde hat Frank Lehner das Schweigen gebrochen.
    «Wissen Sie eigentlich, dass ich nicht nur ins Haus Ihrer Frau eingebrochen bin?», hat er gefragt.
    «Dann waren also Sie der Arschkerl, der mein Wohnungsschloss geknackt hat? Nur, um dann doch nichts zu finden? Nicht bös sein, Herr Lehner, aber als Dieb sind Sie ja wirklich keine Koryphäe. Vielleicht sollten Sie sich aufs Morden beschränken.»
    Da ist Frank Lehner stehengeblieben und hat den Lemming mit wütenden Blicken durchbohrt. «Was schlechte Scherze betrifft, Herr Wallisch, kann ich Ihnen nicht das Wasser reichen. Hätte ich meine Frau getötet, müsste ich jetzt nicht suchen, was ich suche. Weil ich dann den Schlüsselbund gleich in der Weihnachtsnacht an mich genommen hätte.»
    «Und woher, wenn ich fragen darf, wissen Sie dann überhaupt von dem Versteck in der Puppe?», hat der Lemming kaum freundlicher zurückgegeben.
    «Na, weil   … Weil ich   … beobachtet habe, wie sie die Schlüssel hineingetan hat. Aber nur aus dem Garten hab ich das gesehen, durchs Fenster.»
    «Heißt das   …?» Natürlich, der Schatten im Garten der Smejkals, ist es dem Lemming jetzt durch den Kopf geschossen, diese scheue Gestalt, die sich ihm in den Weg gestellt und dann Reißaus genommen hat   …
    «Das heißt, dass ich bei ihr gewesen bin in jener Nacht. Respekt, Sie haben es erfasst, Herr Wallisch. Trotzdem hab ich meine Frau nicht umgebracht.» Ohne weitere Erklärung hat sich Frank Lehner abgewendet und den Fußmarsch fortgesetzt. Der Lemming musste sich beeilen, zu ihm aufzuschließen. So sind sie nun wieder schweigend dahingestapft, beide verdrossen, sichtlich in düstere Gedanken versunken: das traute Bild zweier Widersacher, die das Pech haben, aneinandergekettet zu sein. Vielleicht war es just diese Eintracht im Missmut,die sie geradewegs zum Brunnenmarkt geführt hat, dem wohl lebendigsten, zweifellos aber levantinischsten Straßenmarkt Wiens: Mit dem Eintauchen in einen anderen Erdteil, in ein ungewohntes kulturelles Klima ändert sich ja oft auch die Gemütsverfassung.
    «Kaffee», hat der Lemming gebrummt, und sein Vorschlag wurde von Lehner mit mürrischem Nicken quittiert.
     
    Wieder Kaffee also. Dampfend und dickflüssig, duftend und süß: die griechische Variante, die man hier im Café
Gürkan
nie unter dieser Bezeichnung ordern darf, sofern man kein lebenslängliches Lokalverbot riskieren will. Der korrekte Name lautet
Türkischer Kaffee
, so wie auch der Ouzo, den der Lemming und Lehner dazubestellt haben, keinesfalls anders als
Raki
genannt werden will.
    Wortlos heben die zwei Männer ihre Gläser und trinken, einander belauernd, die Stirnen in Falten gelegt. Als hätte das Schicksal Pat Garrett und Billy the Kid ins tiefste Anatolien verschlagen.
    «Gut, Herr Lehner», sagt schließlich der Lemming und verschränkt die Arme vor der Brust. «Ich lausche. Diese Schlüssel: Wozu dienen die? Was kann man damit öffnen?»
    «Einen Raum», gibt Frank Lehner zurück. «Einen Raum, in dem etwas ist, das ich haben will.»
    «Geht’s vielleicht etwas präziser?»
    Frank Lehner starrt auf das kupferne Kännchen, aus dem nach wie vor der Dampf des Kaffeesatzes steigt. Fast so, als ließe sich die Zukunft darin lesen, wirkt sein Blick mit einem Mal versunken und entrückt, aber auch voller Schmerz und Verbitterung. «Diese Schlüssel, Herr Wallisch, sperren die Büchse der Pandora. Einen Ort, der etwas so   … abgrundtief Böses birgt, dass ich es ein für allemal vernichten will.»
    «Etwas Böses   …»
    «Ja. Ein Untier in Form eines Menschen. Ich will nur noch eines: ihn sterben sehen. Ich muss ihn nicht unbedingt selbst töten, nein, ich will nur dabei sein. Dabei sein und zusehen, wenn dieses Stück

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