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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
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wohlgesonnen. Am 30. Oktober 1888 hatten er und Lenas Mutter geheiratet – zufällig an Lenas siebtem Geburtstag. Der Metzgergeselle, Sohn eines Viehhändlers, stammte aus dem niederbayerischen Pocking. Magdalena Pichler hatte zuletzt als Köchin bei Bankdirektor Hugo Freud in München gearbeitet. Fünf Jahre war sie dort tätig gewesen, bis sie 1888 kündigte, um zu heiraten und sich selbstständig zu machen. Schon vor der Hochzeit kaufte sich das Paar von seinen Ersparnissen die Gastwirtschaft in der Adalbertstraße und etablierte sich schnell. Die Küche genoss einen guten Ruf und zog viele Studenten an. Doch Lena betrat eine vollkommen fremde Welt. Allein das Tempo war ein ganz anderes als das, was sie von Glonn gewöhnt war.
    Am Abend dauerte es eine Weile, bis sie schlafen konnte. Man hatte sie nach dem ereignisreichen Tag früh ins Bett gebracht. Es stand in einem kleinen Zimmer, und sie teilte es mit dem Großvater. Auch er wird eine Zeit schlaflos dagelegen haben. Zunächst gab er seiner Enkelin noch weitere Ratschläge – so lange, bis sie in seinen Armen eingeschlafen war. Seine Gefühlslage muss eine Mischung aus Traurigkeit und Angst gewesen sein. Angst um das geliebte Kind, das er, zusammen mit seiner Frau, aufgezogen hatte und so gut kannte, dass ihm bei dem Gedanken an seine Zukunft in der neuen Familie nicht wohl war. Am nächsten Tag fuhr er allein zurück nach Glonn.

5
Die überflüssige Wirtsleni
    Nun begann für die siebenjährige Lena die Umerziehung von einem wilden, freiheitsliebenden Landkind zu einem Stadtkind, das sich an ein reglementiertes Leben gewöhnen musste. »Kinderarbeit und Schläge statt Träumereien im Gras«, lautet Evita Bauers bitteres Fazit. Es begann mit der Kleidung: Die langen Kleider, die ihr die Großeltern hatten anfertigen lassen, konnte sie nicht brauchen. In der Stadt trug man kurze Röcke. Auch Lenas schöne lange Haare wurden abgeschnitten, angeblich, weil sie Läuse hatte. Die Prognose des Großvaters bewahrheitete sich: Sie wurde im Haushalt und in der Gastwirtschaft eingespannt. »Auch lernte ich jetzt arbeiten«, berichtet sie in den Erinnerungen . Zunächst waren es kleine Hilfsdienste: »Brot und Semmeln für die Gäste in kleine Körbchen zählen, den Schanktisch in Ordnung halten, Sachen einholen und manchmal auch den Kegelbuben ersetzen.«
    Die Mutter war von Anfang an bestrebt, ihr die bäuerliche Sprache auszutreiben. Sie selbst hatte alles, was auf ihre Herkunft schließen ließ, abgelegt. Da sie fast ausschließlich in vornehmen Häusern als Köchin tätig gewesen war, hatte sie sich eine gewählte Sprechweise erarbeitet. Durch die Anwesenheit ihres Kindes wurde sie nun permanent an ihre Heimat erinnert, schlimmer noch, auch die anderen Menschen wurden darauf hingewiesen. Die kleine Lena stellte also von Anfang an einen Störfaktor für sie dar. Aus dem aufgeweckten Lausdirndl wurde beinahe über Nacht ein schüchternes, verstocktes und trotziges Mädchen, das nicht so recht wusste, wo es hingehörte. In der Schule lachte man sie wegen ihres Glonner Dialekts aus und nannte sie »Dotschen« oder »Gscherte«. Sie war eine Außenseiterin, sowohl was ihre Sprache als auch ihre Herkunft betraf. Den anderen Kindern wird es nicht entgangen sein, dass sie nicht denselben Namen wie ihre Eltern trug. Sie war ein uneheliches Kind – das war der nächste Makel. Weil die Tage so ausgefüllt waren mit Schule und häuslichen Pflichten, blieb ihr allerdings kaum Zeit zum Traurigsein und Träumen. Erst abends wurde sie von der Sehnsucht nach ihren Großeltern und ihrem früheren Leben überwältigt. Wenn sie nicht wusste, wohin mit ihren Klagen, nahm sie die Katze mit ins Bett und erzählte ihr, wie unglücklich sie war.
    Im darauffolgenden Sommer besuchte sie der Großvater in München. Gleich am Anfang geschah etwas, das ihr noch lange nachhing. Ihre Mutter hatte ihr ein Lied beigebracht, das sie dem Großvater unbedingt vorsingen wollte. Eine Zeile lautete: »Was braucht denn a Bauer, a Bauer an Huat; für an so an gschertn Spitzbuam is a Zipflhaubn guat.« Erst als ihr der Großvater nicht den erwarteten Beifall spendete, sondern sprachlos und betrübt war, sogar ein paar Tränen weinte, begriff sie, was sie angerichtet hatte. Ob sie zu der Zeit bereits ermessen konnte, wie tief sie ihn verletzt hatte, bleibt offen, doch man spürt an der Art und Weise ihrer Schilderung, dass sie den Schmerz und die Scham nie überwunden hat. Damals verteidigte sie sich mit

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