Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
Vom Netzwerk:
an die Vernunft, aber wenn das nicht fruchtete, schreckte sie nicht vor drastischen Methoden zurück und konnte »recht wild werden. Da fasste ich den einen am Genick und drückte ihn auf seinen Stuhl nieder; den andern riss ich zurück vom Tisch.« Sie schlug mit der Faust auf den Tisch, drohte mit der Polizei und setzte die Raufbolde vor die Tür.
    Lenas Wirken als Wirtsleni wird als Erfolgsstory dargestellt, und so rückt eine Seite ihres Wesens in den Fokus, die auf den ersten Blick im Widerspruch zu ihrer leidenden, übersensiblen steht: Sie konnte das Leben also auch genießen und feiern, hatte großes komödiantisches Talent, wurde so manches Mal als Alleinunterhalterin bewundert. Ihre Spontaneität, ihr Einfallsreichtum und ihre schöne Stimme begeisterten die Gäste. Als Wirtsleni war sie so furchtlos und gleichzeitig entspannt wie auf keinem anderen Terrain.
    Der Vater schenkte ihr zur Verstärkung einen Hund, eine riesige Dogge, die ihr bald nicht mehr von der Seite wich, was ihr noch mehr Respekt verschaffte. Sie ging in der Rolle der Gastwirtin auf, vor allem wenn sie allein schalten und walten konnte. Doch die Freude wurde immer wieder getrübt durch die aggressiven Attacken ihrer Mutter. Lena war mittlerweile neunzehn Jahre alt, eine erwachsene Frau, die täglich bewies, dass sie selbstständig arbeiten und sogar mit brenzligen Situationen umgehen konnte. Trotzdem oder gerade deshalb schreckte ihre Mutter nicht davor zurück, sie zu prügeln. Sie fühlte sich in ihrer Souveränität durch die patente, beliebte Tochter bedroht und wusste sich nicht anders zu wehren, als diese mit Gewalt in ihre Schranken zu weisen.
    Am Namenstag der Mutter kam es zur Katastrophe. Anlass war das Geschenk, das Lena sich ausgedacht hatte. Sie hatte gesehen, wie die neue Kellnerin an einer feinen Spitze häkelte, und sich von ihr das Muster erklären lassen. Mithilfe der Kellnerin fertigte sie nun selbst eine Spitze für die Mutter an. Statt Freude zeigte diese aber nur Misstrauen – sie glaubte nicht an Lenas Geschick. Schließlich gab diese zu, die Handarbeit nicht allein gemacht zu haben. Aus Ärger warf die Mutter das Geschenk ins Herdfeuer und drohte, sie werde Lena die Verlogenheit ein für alle Mal austreiben. Erneut löste die Ankündigung einer Strafe bei Lena einen regelrechten Horrortrip aus. Diesmal fürchtete sie ernstlich, die Mutter werde sie umbringen, »denn sie war so seltsam still, trank rasch fünf oder sechs halbe Bier«, nahm den Schürhaken vom Herd und warf ihr »grausige, entsetzliche Blicke zu«. Jede Bemerkung der Mutter oder sogar der Kellnerin führte dazu, dass ihre Befürchtung mehr und mehr zur Gewissheit wurde. Sie hatte große Angst, die Mutter könnte sie mit einem schweren Hieb »zum Krüppel« schlagen, und sah nur noch einen Ausweg: »Plötzlich ergriff ich das große Tranchiermesser, legte erst die eine und dann die andere Hand auf den Hackstock und schnitt mir an beiden Armen die Pulsadern durch.« Dann lief sie in den Weinkeller, schloss sich ein und »hoffte stumpfsinnig auf den Tod«. Sie wurde rechtzeitig gefunden, weil eine vorübergehende Frau den Vorgang durchs Fenster beobachtet und ihren Vater alarmiert hatte. Er brachte sie zum Arzt, der die Wunden versorgte. Die Worte der Mutter bei ihrer Rückkehr »Bist no net hin?« ließen Lena den Entschluss fassen, umgehend das Haus zu verlassen.
    Erste Station ihrer Flucht war ihre Cousine in Giesing, die sie aufnahm und ihr riet, sich so schnell wie möglich eine Stelle zu suchen. So könne sie beweisen, dass sie allein zurechtkomme und die Mutter nicht brauche. Als Lena erfuhr, dass in der Floriansmühle, dem beliebten Ausflugslokal in Freimann, eine zweite Köchin gesucht wurde, besorgte sie sich die erforderlichen Papiere, machte sich gleich auf den Weg und ging an der Isar entlang durch den Englischen Garten Richtung Norden. Die Gaststätte war Teil des gleichnamigen landwirtschaftlichen Betriebs am Garchinger Mühlbach, der drei Brüdern gehörte. Als Lena in den Gutshof trat, fühlte sie sich wie in einer eigenen Welt: ein Wohnhaus mit einem Glockenturm, eine Gastwirtschaft, ein Tanzsaal, ein Stall, im Hof ein Pferdegespann, Hühner, Enten, Tauben und ein Pfau, der auf den Glockenturm flog und sich dort majestätisch niederließ. Als sie sich in der Küche vorstellte, wunderte man sich über ihre Jugend. Nachdem sie zunächst schüchtern versichert hatte, sie sei schon neunzehn Jahre alt, wurde sie auf einen Schlag mutiger

Weitere Kostenlose Bücher