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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
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lange zu bleiben. Für das Weihnachtsspiel »Nacht und Licht« dachte man sich eine besonders perfide Strafe aus: Weil man Lenas schöne Stimme für das Gelingen der Aufführung brauchte, musste sie unbedingt singen. Doch den Applaus gönnte man ihr nicht. »Du hast dich hinter ein Gebüsch zu knien und zu singen«, befahl die Präfektin, »und niemand wird deinen Gesang bewundern, dafür werde ich sorgen.«
    Ihre Mutter wunderte sich denn auch, die Stimme ihrer Tochter vernommen zu haben, ohne sie zu sehen, und Lena erzählte, was man ihr angetan hatte, ohne auf den Beistand der Mutter zu hoffen. Die Erfahrung, aus dem Licht ins Dunkel gedrängt zu werden, war für sie nicht neu und zuvor immer mit einer mütterlichen Strafaktion verbunden gewesen. Doch in dieser Situation hielt die Mutter zu ihr und verteidigte sie selbstbewusst gegenüber der Präfektin und dem Superior. Als sie ankündigte, Lena sofort mit nach Hause zu nehmen, versuchte man, sie umzustimmen. Man wollte sich als großmütig erweisen und der Ungehorsamen noch eine Chance geben. Die Mutter ließ sich überreden, forderte Lena jedoch beim Abschied auf, sich ihr anzuvertrauen, falls es wieder Schwierigkeiten geben sollte.
    Es war nur ein Aufschub, Lena hatte endgültig jegliches Interesse, Nonne zu werden, verloren und teilte das ihrer Mutter einige Monate später mit. Der Brief wurde, wie die gesamte Korrespondenz, von der Klosterleitung gelesen; die Präfektin versuchte ein letztes Mal, Lena auf den richtigen Pfad zurückzuholen, aber es war vergebens. Am Aschermittwoch packte sie ihre Sachen. Die Präfektin entließ Lena mit den Worten: »Magdalena, Magdalena, du bist verloren, du gehst zugrunde! Schon sehe ich den Abgrund der Weltlichkeit, in den du fallen wirst. Doch geh in Frieden, mein Kind, falls die Welt noch einen für dich hat.«
    Es ist schwer vorstellbar, dass eine Frau in ihrer Position, eine kirchliche Würdenträgerin, sich zu einer solchen Entgleisung hinreißen ließ, die einem Fluch gleichkam. Das Pathos ihrer Prophezeiung entsprach in keiner Weise dem Anlass: Eine Kandidatin hatte sich entschieden, das Kloster zu verlassen, ohne dass etwas wirklich Gravierendes vorgefallen wäre. Hier hat die Autorin offensichtlich zum Stilmittel der Überhöhung gegriffen.
    Weiter wird berichtet, dass sich die anderen Kandidatinnen von Lena abwandten, nur Schwester Cäcilia verabschiedete sich von ihr unter Tränen mit den Worten: »Nun bin ich wieder allein! O, warum gehen alle wieder weg, kaum dass sie begonnen!« Sie war enttäuscht und verzweifelt, doch dann wünschte sie Lena Glück für die Zukunft und schuf so ein Gegengewicht zu den Abschiedsworten der Präfektin. Der Fluch wurde damit nicht aufgehoben, aber abgemildert.
    Unter den Dokumenten, die Marita A. Panzer im Ursberger Klosterarchiv gesichtet hat, befindet sich auch der »Schülerinnenbogen«. Darin heißt es: »Pichler Magdalena ist immer noch nicht ganz wahr, immer noch prahlerisch; sehr empfindlicher, sehr stolzer Gesinnung (Solo-Gesang). Aus der letzten Zeit liegen Naschhaftigkeiten und Lügen vor (verschiedene Lügen auch aus dem Musikzimmer).«
    In ihrem Abschiedsbrief vom 2. März 1900 bedankt sich Lena beim »Hochwürdigen Herrn Superior« und bei der »Würdigen Mutter« für ihre »große Liebe und Sorgfalt«. Sie wisse ihre Bemühungen zu schätzen: »Nichts war Ihnen zu viel mich vom sichern Verderben zu retten.« Sie bittet um Verzeihung für alles, was sie sich zuschulden kommen ließ, und verspricht, sie wolle nicht aufhören zu kämpfen und zu beten. Drei Wochen später, am 26. März 1900, wandte sie sich noch einmal per Brief an die »Würdige Mutter« und versicherte ihr: »Es geht mir ganz gut; meine Eltern tragen mich auf den Händen. Trotzdem ist mir die Welt mit ihren Grundsätzen ziemlich fremd geworden.«
    Diese beiden Briefe gehören zu den wenigen Lebensdokumenten von Lena Christ, die erhalten sind, und werfen einige Fragen auf: Warum verzieh Lena Christ der Präfektin ihre Rigorosität und Verständnislosigkeit? Warum wandte sie sich überhaupt noch einmal an sie? Strategische Gründe sind auszuschließen, denn sie hatte nicht vor, jemals wieder eine Klosterlaufbahn einzuschlagen. Vermutlich würde sie diese Frau, die ihr so wenig Güte entgegengebracht hatte, also nie mehr wiedersehen. Erstaunlich ist, wie krass die Autorin das Unrecht im Roman schildert, wohingegen sie sich im Leben dann aktiv um Versöhnung bemühte. In den Erinnerungen entlarvt sie

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