Lena Christ - die Glueckssucherin
auf, zu ihr zu kommen, wenn sie mütterlichen Beistand brauche. Sie habe nun eine zweite Mutter. Gemeinsam mit ihr fuhren die jungen Eheleute in ihre neue Wohnung. Als die Schwiegermutter Lena beim Ausziehen des Hochzeitskleids helfen wollte, wurde sie von ihrem Sohn mit rüden Worten hinausgeworfen. »I ziag mei Frau scho selber aus«, kündigte er an. Doch die Mutter warnte ihn. »Dös sag i dir: dass d’ma s’schonst, dei Frau; sonst, bei Gott, is g’fehlt, wannst es machst wia …!« Diese abgebrochene kryptische Rede prägte sich Lena tief ein, obwohl sie nicht begriff, worauf die Schwiegermutter anspielte. Schnell zog sie sich selbst aus und ging ins Bett. Als ihr Mann kam, der noch eine Weile die gediegene Wohnungseinrichtung bestaunt hatte, war sie schon eingeschlafen. Doch das hinderte ihn nicht daran, sein Recht durchzusetzen. Schließlich handelte es sich um die Hochzeitsnacht. Lena Christ gelingt es in ihren Erinnerungen, in einem einzigen Satz die Geschehnisse dieser Stunden einzufangen: »Und ich war schon eingeschlafen, als er kam, und am andern Morgen, als ich aufstand, war ich nicht mehr das frische, sorglose Mädchen, und der Spiegel zeigte mir ein müdes, fremdes Gesicht.«
15 Das Ehepaar Leix: Lena und Anton
Keine zwanzig Seiten widmet die Autorin der Ehe mit Anton Leix, nachdem sie das Fazit ihrer Hochzeitsnacht gezogen hat: »So hatte ich denn den ersten Schritt in das Leben getan, das mir noch so übel geraten sollte.« Anfangs lebte die Frischverheiratete in der »Erwartung einer goldenen Zeit«, doch schon sehr bald wurde ihr klar, dass auch ihre Ehe zu den Dingen in ihrem Leben gehörte, die anders waren, als sie erhofft hatte. Sie schildert ihren Mann als sexbesessenen Grobian, dessen »Zärtlichkeiten« ihr zunächst körperlichen, dann seelischen Schmerz verursachten. Sie spricht von »nimmersatter Willkür« und »schrankenlosen Wünschen«, denen sie sich fügte und die sie schweigend über sich ergehen ließ. Es konnte nicht »die rechte Liebe« sein, die sie mit ihm verband. Sie hoffte inständig, schwanger zu werden, um endlich Ruhe vor dem zu haben, was sie als sexuellen Übergriff und Vergewaltigung empfand. Als es so weit war, ließ er sie tatsächlich in Ruhe, sodass sie wieder etwas mehr Zuneigung für ihn verspürte. Doch nun übte er seine Macht auf anderem Terrain aus. Weil alle Freunde und Bekannte von seinem Glück erfahren sollten, nahm er Lena mit ins Wirtshaus und führte sie und ihren Zustand »mit schamloser Deutlichkeit« vor. Darin wurde er sogar von seinen Eltern unterstützt, »die meinten, ein Ehemann müsse unter allen Umständen der Herr im Haus bleiben, was auch komme«. Diese Auffassung entsprach voll und ganz der damaligen Rechtssprechung. Im Bürgerlichen Gesetzbuch von 1900 war die Abhängigkeit der Ehefrau vom Ehemann klar definiert: Der Ehemann entschied in »allen das gemeinschaftliche Leben betreffenden Angelegenheiten«, dazu gehörten auch Wohnort und Wohnung sowie die Tätigkeit, der die Frau nachging. §1363 besagte: »Das Vermögen der Frau wird durch Eheschließung der Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfen (eingebrachtes Gut). Zum eingebrachten Gut gehört auch das Vermögen, das die Frau während der Ehe erwirbt.« Und vor allem gehörte der Körper der Frau dazu.
Die Schwangerschaft und die Geburt ihres ersten Sohnes schildert Lena Christ noch ausführlich, doch dann beginnt der Zeitraffer: Sie kündigt dem Leser an, sie werde nun eilen, um zum Ende zu kommen, weil ihre letzten Erinnerungen »so traurig und peinlich« seien, dass sie sie in gedrängter Form erzählen wolle. Es stand für sie außer Zweifel, dass ihre Ehe unglücklich war – doch worin lag der Grund? Sie suchte ihn bei anderen: im Egoismus und in der Gewalttätigkeit ihres Ehemanns; im Fluch, den die Mutter am Hochzeitsmorgen ausgesprochen hatte und mit dem sie ihr wünschte, keine glückliche Stunde zu haben.
Mit keinem Wort suchte sie den Grund für das Scheitern ihrer Ehe bei sich selbst, doch das tut ihr Biograf Günter Goepfert. Er ergreift deutlich Partei: »Soweit man bei Umständen, die allein von der Natur bestimmt werden, von Schuld oder Versagen reden kann, lag diese Schuld in erster Linie bei Lena. Sie war nicht fähig, eheliche Liebe zu geben, noch sie zu empfangen.« Als Beweis führt er ihre mangelnde geschlechtliche Reife an: Laut den Erinnerungen habe sie ihrer Schwiegermutter gestanden, erst kurz vor der Hochzeit ihre Menstruation bekommen
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