Lena Christ - die Glueckssucherin
Gefühle sind zwiespältig. Natürlich weiß sie, worauf er hinaus will, aber er unterscheidet sich von den üblichen Freiern durch seine Eleganz und sein nobles Verhalten. Seine Geldbörse ist gefüllt mit Silbergeld und Scheinen. Hanni erklärt ihm, wer sie ist und woher sie kommt. Als er fragt, ob sie zu Hause noch mehr Blumen habe, verneint sie das, bietet aber an, bis morgen so viele Blumen zu besorgen, wie er möchte. Der Herr zahlt mit einer Banknote, die den Preis der Blumenreste bei Weitem übersteigt, bestellt für morgen einen weiteren Strauß, nennt ihr die Uhrzeit und »gibt ihr eine feine Visitenkarte in die Hand«. Hanni braucht eine Weile, um ihre Fassung wiederzuerlangen: Der Herr ist Baron. Zwanzig Mark – so viel hat er ihr für den winzigen Strauß gegeben – sind für sie ein Wochenlohn. Das muss sie feiern und fährt also mit der Tram in die Au. Beim Betreten ihrer Herberge singt sie:
»Lusti is auf der Welt,
Zwanzig Gulden in Silbergeld,
Dreißge in Schein –
Bua, mei Herzerl ghört dein!«
Eine Weile später findet sie in dem Festtagskleid, das sie damals beim Blumenverkaufen trug, »jene vornehme Visitenkarte mit dem Namen des Barons im Pelzrock« und gerät in Versuchung: »Wenn nun der Weg zu ihrem Glück durch diese Straße führte?« Sie ist hin und hergerissen, will auf keinen Fall feige sein: »I – mir net traun! I trau mir scho! I geh zum Sparrigankerl selber, wenns sein muaß, wenn mein Glück davon abhängt.« So mutig, dass sie den Teufel aufsuchen würde, ist die Rumplhanni allemal. Doch die andere mahnende Stimme in ihr ist nicht zu überhören. Wie sie sich entscheidet, bleibt offen.
Die Gefängnisszene, die Lena Christ in der Rumplhanni schildert, ist von großer Authentizität. Die Protagonistin sieht sich in einem Raum zusammen mit anderen Frauen: Eine hat ihr Kind zum Krüppel geschlagen. Eine andere hat ihren Freier bestohlen, wieder eine andere zog als Landstreicherin mit Komplizen durchs Land und lebte von Einbrüchen in Häuser und Höfe. Die Autorin konnte auf eigene Erfahrungen zurückgreifen: Sie war zweimal für vier Wochen im Gefängnis – innerhalb eines halben Jahres. Dass sie nach Verbüßung der ersten Strafe so schnell wieder das Risiko einer zweiten Verurteilung einging, lässt vermuten, dass die Inhaftierung für sie kein traumatisches Erlebnis war. Eingeschlossensein und Bestraftwerden kannte sie zur Genüge, hier erfuhr sie eine gewisse Kameradschaft unter Frauen.
Das Aufnahmeverfahren in der Strafanstalt begann mit dem Ablegen der Kleider und Schuhe. »Du bist ein Sträfling wie jene andern! sagte sie sich; jetzt hat Gottes Mühl auch dich zwischen die Mahlsteine genommen.« Nachdem die Aufseherin alles durchsucht hatte, durfte sich Hanni wieder anziehen und wurde in eine Zelle geführt, die mit Strohsack, Tischbrett und Bank ausgestattet war. Die Geräusche, die ihren Tagesablauf bestimmen, sind von nun an Schlüssenrasseln, Riegelschlagen und Rufe wie »Kübel raus! Krug raus!« Sie hat die Zellennummer 28. Es dauert eine Weile, bis Hanni sich aus ihrer Starre gelöst hat, sie nimmt zwar das Essen durch die Türklappe in Empfang, ist aber nicht fähig, auch nur einen Brocken herunterzuschlucken.
Schüchtern betrachtet sie ihre Mitgefangenen und das Geschehen um sich herum. Der Autorin gelingt es, mit rein deskriptiven Sätzen die komplexe Gefühlswelt der Insassinnen entstehen zu lassen: »Bleiche Gesichter, freche, trotzige Mienen, vom Weinen verschwollene Augen, graue Büßerkittel, feine Schlafröcke: Für einen Augenblick huschen bunt zusammengewürfelt die Bewohnerinnen des Stockwerks aus ihren Zellentüren; mit scheuer Neugierde wandern schnelle Blicke den Gang hinauf, hinunter, und flüchtig werden hier und dort mit Augen und Händen Zeichen geheimen Einverständnisses gewechselt, indes zwei grobgewandete Mädchen Wasser in die Krüge füllen und das Brot verteilen und eine finster schauende Aufseherin alles bewacht, beobachtet, hier eine Erkrankte für die Sprechstunde beim Arzt vormerkt, dort ein Versehen rügt, eine Gefangene scharf anlässt und schließlich klappernd und rasselnd eine Zellentür um die andere zuschlägt und verriegelt.«
Gefängnis lautete der Titel des ersten Prosabuchs von Emmy Hennings, mit dem sie 1919 an die Öffentlichkeit trat. Im August 1914 war sie in Hannover inhaftiert worden. Die Anklage lautete, sie habe einen nächtlichen Besucher bestohlen. Das Untersuchungsgefängnis unterwirft sie im Text sofort
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