Lena Christ - die Glueckssucherin
Mitteilungen der Königlichen Polizeidirektion weisen zwei Eintragungen über Lena Christ auf: So wurde sie am 15. März 1911 durch das Landgericht München I wegen Kuppelei und im selben Jahr am 19. Juni durch das Schöffengericht München wegen Gewerbsunzucht jeweils zu vier Wochen Haft verurteilt. Diese Vorstrafen wurden bekannt, als 1916 im Rahmen eines Beleidigungsverfahrens gegen einen Kompaniechef Erkundigungen über sie eingezogen wurden.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es für Frauen nicht viele Möglichkeiten, Geld zu verdienen. Verfügte man über keine höhere Ausbildung, kamen nur wenige Tätigkeiten infrage: im Haushalt, im Verkauf, im Gastgewerbe oder in der Fabrik. Der Lohn war spärlich und reichte oft nicht aus, um den Alltag zu bestreiten. Gelegenheitsprostitution war kein seltener Gelderwerb, allerdings strafbar: Das Reichsstrafgesetzbuch verbot »gewerbsmäßige Unzucht« von nicht registrierten Prostituierten, bei Verurteilung drohte Gefängnis. Marita A. Panzer berichtet, laut Schätzung habe es 1910 in München ungefähr 2000 heimliche Prostituierte gegeben, im Vorjahr seien 140 offiziell registriert gewesen. Es waren vorwiegend Fabrikarbeiterinnen, Kellnerinnen und Dienstmädchen. Die Gründe lagen auf der Hand: Verlust des Arbeitsplatzes, zu geringer Lohn, unregelmäßiges Einkommen. Letzteres traf vor allem auf die Frauen der Münchner Boheme zu, für die dieses Mittel oft die einzige Möglichkeit war, zu überleben. Sowohl Franziska zu Reventlow als auch eine andere Schwabinger Szene-Frau, Emmy Hennings, bekannten sich dazu, zeitweise als Prostituierte gearbeitet zu haben. Letztere saß sogar wegen Beischlafdiebstahl im Gefängnis. Beide haben das Thema Prostitution öffentlich thematisiert und sich theoretisch und literarisch damit auseinandergesetzt.
»Wenn es verboten ist, sich Liebesstunden bezahlen zu lassen«, so Emmy Hennings, »muss es verboten werden, Liebesstunden zu kaufen. Aber die Erfahrung lehrt, dass der Mensch ohne Liebesstunden nicht leben kann. Also müsste die Liebe anders ›organisiert‹ werden.« Ihre Anklage gilt dem Machtgefälle innerhalb der offiziellen Rechtsprechung: auf der einen Seite »das schutzloseste Geschöpf: ein Straßenmädchen«, auf der anderen Seite der Gerichtshof, der nur aus Männern besteht, »und es erfordert weniger Kraftaufwand, das schwache Geschlecht zu bestrafen, als Männer zur Rechenschaft zu ziehen, die ihre stärksten Neigungen geheim zu halten wünschen«. Emmy Hennings lehnt den Mann als Richter über eine Frau ab, die nach bürgerlicher Rechtsprechung eine Straftat begeht, indem sie eine Ware verkauft, die der Mann begehrt.
Lena Christ gehörte nicht zu den Frauen, die sich sozialkritisch äußerten, sie erzählte und machte deutlich, dass sie aus eigener Erfahrung wusste, wovon sie sprach: Ihrem Roman Die Rumplhanni verdanken wir die detaillierte Schilderung einer »Anbahnung«, die so gar nichts Ordinäres, sondern etwas Zartes und Würdevolles hat und in krassem Gegensatz steht zu der ehelichen Nötigung, die sie in den Erinnerungen einer Überflüssigen anprangert. Am Josephstag, »Josefi«, dem »Tag aller Sepperl und Pepperl« entschließt sich die Rumplhanni, statt Gemüse Blumen zu verkaufen. Sie zieht sich fein an, tauscht die Gemüsekarre gegen einen hübschen großen Korb und füllt ihn in der Markthalle mit Anemonen, Schneeglöckchen, Nelken und Veilchen. Auf einer Bank an der Isar macht sie Rast und bindet anmutige Sträuße. Dann bricht sie auf in die feinere Gegend Münchens und preist dort ihre Ware an: »Ein Sträußerl gfällig?« oder »A Namenstagsbuketterl net vergessen!« Die Blicke der Frauen unterscheiden sich deutlich von denen der Männer. »Betteldirn! Tagdiebin!«, meint sie aus der Mimik der Frauen herauszulesen, während die Männer sie »Herzerl, Schatzerl, schöns Kind« nennen und unverhohlen anstarren, »dass sie wähnt, es würde ihr bei solchem Gaffen alles abgezogen, jede Hülle, und sogar die Haut«.
Sie hat großen Erfolg, gegen Abend ist ihr Blumenkorb fast leer, nur noch ein paar Nelken und Anemonen sind übrig geblieben. Ein alter vornehmer Herr »in Pelzrock und Zylinderhut« deutet auf den Korb und fragt: »Was kosten sie?« Sein Blick über ihre schwarzen Zöpfe, ihren Körper und ihr Gesicht unterstreicht die Zweideutigkeit der Frage. Nachdem sie ihm den Preis – drei Mark – genannt hat, fragt er weiter: »Wie heißt du denn? Bist du Münchnerin? Bist du schon Frau?« Hannis
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