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Lena Christ - die Glueckssucherin

Lena Christ - die Glueckssucherin

Titel: Lena Christ - die Glueckssucherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunna Wendt
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seinen späteren Rivalen ab, Lenas »Bub« und Liebhaber Lodovico Fabbri, wie die weiteren Ausführungen beweisen: »Der Drang sich selbst und den dunklen Dämonen, die sie verfolgten, zu entfliehen, ließ sie dabei Menschen in die Arme laufen, die all dem Wertvollen in ihr, aus dem das Beste ihrer Kunst entsprang, vollkommen fernstanden.« Er vergleicht dieses Verhalten mit der Trunksucht vieler Künstler, die eine ähnliche Funktion hat: sich von inneren Spannungen zu befreien. Mit den »unterhaltsamen Leuten, die die dunklen Schatten, von denen sie heimgesucht wurde, verscheuchten«, ist zweifellos der junge Sänger gemeint, der sie ihm entfremdete. Auch zwanzig Jahre nach Lena Christs Tod empfand er noch Enttäuschung, Verletzung und Schmach.
    Sie bestimmen den Ton seines Buches, wenn es um Lenas Charakter geht. Doch darüber hinaus schildert er mit Begeisterung und Bewunderung ihre Arbeitsweise, den Weg von der mündlichen Erzählung zur schriftlichen Form, die Recherche und den Umgang mit Quellen. Er leistet ein Stück Aufklärungsarbeit in der Frage, wie eine junge Frau ohne höhere Bildung und literarische Anregung einen Stil entwickeln konnte, der in seiner Mischung aus Lebendigkeit, Direktheit und Humor einzigartig ist. Bis heute fehlt die adäquate Würdigung Lena Christs in der Literaturgeschichte. Sie in einem Atemzug mit Ludwig Thoma zu nennen, wird ihr nicht gerecht. Sowohl Intention als auch Sichtweise sind gänzlich verschieden. Wenn man ihr einen bayerischen Schriftsteller zur Seite stellen will, dann sollte es Oskar Maria Graf sein. Der Weg von den Erinnerungen einer Überflüssigen zu Aus dem Leben meiner Mutter ist nicht weit.
    Die Entstehungsgeschichte der Erinnerungen gibt Peter Jerusalem in seinem Buch wieder. Als er Lena 1911 kennenlernte, lebte er als Schriftsteller in München und hatte vom Verleger Wilhelm Langewiesche den Auftrag erhalten, die Neuausgabe einer Auswahl deutscher Volksbücher für die Reihe »Bücher der Rose« zu erarbeiten. Die Idee dazu stammte von ihm selbst. Nachdem Lena zwei Wochen als Schreibkraft bei ihm tätig gewesen war, fragte er sie, ob sie aus München stamme, und erhielt keine kurze eindeutige Antwort – Ja oder Nein –, sondern eine ausschweifende Erzählung, die ihn fesselte. Es war nicht nur das, was sie ihm berichtete, sondern vor allem die Art und Weise, das Wie. Er spricht von der »fabelhaften Kunst der Erzählung«. Das fünfjährige Kind wurde vor ihm genauso lebendig wie die neunundzwanzigjährige Frau. »Die Personen ihrer Erzählung nahmen von selber Gestalt an, erschienen leibhaftig, sprachen und handelten, jede in der ihr eigentümlichen Art, offenbarten darin ihr Wesen, wurden sichtbar mit einer so unheimlichen Deutlichkeit, dass man sie greifen konnte. Keine wurde beschrieben, sondern sie zeichneten sich selber, so wie sie einem im Leben begegnen.« Es schien ihm, als geschehe das Ganze vor seinen Augen.
    Ihre Erzählkunst setzte Raum und Zeit außer Kraft: Als Lena aufhörte, dachte er, eine halbe Stunde sei vergangen, doch der Blick auf die Uhr belehrte ihn eines Besseren: Es waren vier Stunden gewesen. Mittlerweile war es für die eigentliche Arbeit, die sie zusammengeführt hatte, zu spät geworden, und Lena ging nach Hause. Ähnlich beeindruckt äußerte sich der Verlagsleiter des Albert Langen Verlags in einer Widmung für Lena Christ:
    »Wann Lenis Mund von Boarisch schäumt, –
    O je, schon ist der Zug versäumt.«

    20 Widmung von Korfiz Holm, 1914
    Jerusalem war aufgewühlt durch das Erlebte. Ihm war klar, dass Lena eine außergewöhnliche Erzählbegabung hatte, die gefördert werden musste. Er spürte eine Verpflichtung, ihr bei der Realisierung ihres Talents, bei der »Umsetzung vom Mündlichen ins Schriftliche«, zu helfen. Also forderte er sie bei ihrem nächsten Treffen auf, einige von den Begebenheiten, die sie ihm erzählt hatte, aufzuschreiben. Gleich am nächsten Tag brachte sie das Ergebnis mit: Es war für ihren neuen Mentor enttäuschend. Die schriftliche Version verfügte nicht über die Lebendigkeit und den unverwechselbaren eigenen Ton. Ihre Qualität reichte nicht über die eines Schulaufsatzes hinaus. Doch Jerusalem gab nicht auf, sondern entschied sich für einen Umweg: Nachdem er erkannt hatte, dass sie so gut wie keine literarischen Kenntnisse besaß und wohl noch nie über Dichtkunst und Schriftstellerei nachgedacht hatte, hielt er es für hilfreich, sie damit vertraut zu machen. Sie besaß damals nur

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