Lenas Flucht
überhaupt?«
»Wir sind schon da«, lachte der junge Mann.
»Halten Sie sofort an! Was wollen Sie von mir!« rief Kurotschkin.
Der Wagen bremste, und der alte Arzt sah ringsum nur verschneiten Wald. Er wollte den Gurt öffnen, fand aber den Knopf nicht, riß an der Tür und bekam sie nicht auf.
»Bleiben Sie ruhig, Dr. Kurotschkin«, sagte der junge Mann und wandte sich ihm voll zu. »Wir sind keine Räuber oder Mörder. Ich schalte jetzt das Licht ein, Sie schauen nach hinten, und Ihnen wird sofort alles klar.«
Kurotschkin hatte einen trockenen Mund. Beim schwachen Licht der Innenleuchte blickte er auf die Frau, die jetzt Brille und Mütze abnahm.
»Sie brauchen uns nur einige Fragen zu beantworten. Wir zeichnen Ihre Antworten auf und bringen Sie dann sofort nach Hause«, erklärte die Frau. Aus einem kleinen Diktiergerät nahm sie eine Kassette heraus und legte eine neue ein. »Den ersten Teil Ihrer Aussage haben wir bereits. Das waren indirekte Antworten auf indirekte Fragen. Jetzt wird es konkret. Ich frage Sie nicht, ob Sie mich erkannt haben. Das ist ohnehin klar. Ich frage Sie: Wer ist Ihr Auftraggeber?«
»Ich zeige Sie bei der Miliz an«, flüsterte Kurotschkin.
»Damit erleichtern Sie uns die Arbeit nur.«
»Schalten Sie das Diktiergerät ab«, stöhnte Kurotschkin, »mein Herz macht das nicht mit.«
»Was möchten Sie: Validol, Nitroglyzerin oder Valokardin? Es ist alles da. Ihre Reaktion habe ich vorhergesehen.«
»Geben Sie mir ein Validol, und schalten Sie endlich das Ding ab.«
»Das Diktiergerät bleibt an. Sonst verliert unser Gespräch jeden Sinn.« Lena seufzte. »Ich glaube nicht, daß Sie uns viel erzählen können, was wir noch nicht wissen. Vielleicht einige technische Details. Aber um die geht es nicht. Ichwerde Ihnen helfen, sich zu erinnern, was vor zwei Tagen passiert ist.«
Kurotschkin schwieg und lutschte seine Validoltablette.
»Man hat Sie dafür bezahlt, daß Sie mich einschläfern und ins Krankenhaus von Lesnogorsk bringen lassen«, fuhr Lena fort. »Auf das Schlafmittel sind Sie gekommen, als Ihnen klar wurde, daß ich Ihnen kein Wort glaube und jeden Augenblick gehen werde. Im Krankenhaus von Lesnogorsk arbeitet eine Dr. Sotowa. Sie brauchte nicht unbedingt mich, sondern Material zur Herstellung einer Wundermedizin. Ich bin Ihnen zufällig in die Hände gefallen. Wahrscheinlich war es ein Eilauftrag. Es mußte also Gewalt angewandt werden.«
»Was phantasieren Sie sich da zusammen?!« entfuhr es Kurotschkin. »Ich verstehe, Sie haben Ihr Kind verloren«, sagte er schon ruhiger. »Das ist eine schwere Erschütterung. Aber ich versichere Ihnen, es war bereits tot. Und wenn Sie mich jetzt entführen, holen Sie es nicht wieder zurück.«
Nun mußte Lena laut lachen. Sie war nicht hysterisch. Sie lachte froh und so ansteckend, daß Goscha einfiel. Dieses einträchtige Lachen machte Kurotschkin nur noch mehr Angst.
»Ich lache über Ihre stupide Selbstgefälligkeit«, erklärte Lena und wischte sich die Tränen ab. »Sie sind so überzeugt, daß ich mein Kind nicht mehr habe, nur weil Sie, Dr. Kurotschkin, es für tot erklärt haben. Ihre Auftraggeber jagen mich durch ganz Moskau, um es zu töten, und jetzt natürlich auch mich. Ich muß Sie leider enttäuschen: Mein Töchterchen lebt und ist gesund, fühlt sich ausgezeichnet und kommt dann auf die Welt, wenn es soweit ist, also Ende Februar oder Anfang März.«
Sie hat sich woanders untersuchen lassen, dachte Kurotschkin entsetzt, woher wüßte sie sonst, daß es ein Mädchen ist? Und wieso ist das Kind noch … Der Kopf schwirrte ihm, und das Herz schmerzte wieder.
»Woher wissen Sie, daß Sie ein Mädchen erwarten?« fragte er mit schwacher Stimme.
»Das spüre ich«, antwortete Lena. »Und Sie wissen es genau. Zu diesem Zeitpunkt kann ein erfahrener Arzt wie Sie das Geschlecht des Kindes zweifelsfrei feststellen. Und ein totes Kind von einem lebenden unterscheiden kann sogar ein Laie. Das haben Sie selbst gesagt.«
»Ich behaupte weiterhin, daß Ihr Kind nicht mehr lebt«, erklärte Kurotschkin kaum hörbar, »und ich verstehe nicht, wieso man bei Ihnen bisher keine künstlichen Wehen eingeleitet hat. Sie bringen sich in ernste Gefahr.«
»Jetzt reicht’s aber! Meine Geduld ist zu Ende!« Lena griff flink zwischen den Sitzen hindurch in Goschas Jackentasche, und binnen einer Sekunde spürte Kurotschkin kaltes Metall in seinem Nacken.
»Jetzt ist Schluß mit lustig«, herrschte Goscha Kurotschkin an. »Lena
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