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Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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die Ärztin und warf ihr einen raschen Blick aus ihren schwarz umrandeten hellgrauen Augen zu.
    Die ist bestimmt nicht jünger als ich, dachte Lida. Wie gut sie aussieht. Und ich …
    »Nehmen Sie bitte noch einmal Platz. Wie fühlen Sie sich? Übelkeit, Schwindel?«
    »Eigentlich alles normal«, meinte Lida achselzuckend.
    »Jetzt messen wir noch rasch Ihren Blutdruck, und dann reden wir.« Die Ärztin hatte eine tiefe Bruststimme. Sie blickte Lida aufmerksam an.
    »Und was wird es? Etwa wieder ein Junge?« Lida wollte der Ärztin in die Augen sehen, als die ihr die Manschette anlegte.
    »Das ist jetzt Ihre vierte Schwangerschaft? Und die anderen drei sind gesund?«
    »Gesund und quicklebendig.« Lida nickte.
    Der herbe Duft des teuren Parfüms der Ärztin stieg ihr in die Nase. Etwas daran war ihr plötzlich unangenehm und machte ihr Angst.
    »Ist bei mir etwas nicht in Ordnung?«
    »Ihr Blutdruck ist normal.« Die Ärztin nahm die Manschette ab und packte das Gerät ein.
    »Und was ist mit dem Kind?«
    »Ihr Kind, Lida Wsewolodowna, … hat keine Herztöne mehr.«
     
    Als man sie zum Krankenwagen brachte, brach Lida in Tränen aus. Sie liefen und liefen. Lida achtete nicht darauf. Ihr fiel nicht einmal auf, daß der Wagen ein gewöhnlicher grüner Lada war.
    Nun machte sie sich bittere Vorwürfe: Was habe ich nur getan? Warum habe ich dieses Kind nicht gewollt? Herr, vergib mir!
    Dann fuhr sie plötzlich zusammen. Die Tränen versiegtenauf der Stelle. Sie spürte, wie sich das Kind in ihrem Bauch regte.
    »He, Sie!« rief sie dem jungen Pfleger ins Ohr, der neben ihr saß. »Mein Kind lebt! Ich brauch’ nicht ins Krankenhaus!«
    »Was sagen Sie da?« Der Bursche starrte sie entgeistert an.
    »Hören Sie doch, mein Kind lebt. Die Ärztin hat sich geirrt. Lassen Sie mich irgendwo an der U-Bahn raus, ich fahre nach Hause.«
    »Das geht nicht«, antwortete der Junge verlegen, »ich bringe Sie ins Krankenhaus, und dort wird man weitersehen.«
    »In welche Klinik fahren Sie mich?« fragte Lida schon ganz sachlich. Sie war sich absolut sicher. Sollten sie sie noch einmal untersuchen. Dann würden sie sie ohnehin gehen lassen.
    »In eine gute«, brummte der Junge.
    Im Krankenhaus nahm sie eine Schwester im weißen Kittel in Empfang.
    »Mein Kind lebt!« erklärte ihr Lida froh. »Eigentlich müßte ich so schnell wie möglich nach Hause, und Ihre Klinik liegt hinter den sieben Bergen.«
    »Wenn Sie schon einmal hier sind, schauen wir Sie erst mal an«, erklärte ihr die Schwester lächelnd. »Machen Sie sich frei.«
    Lida hatte nur eine Sorge: Jetzt mußte sie mit dem Vorortzug zurückfahren. Das wurde teuer.
    Bald lag sie in einem Zimmerchen am Tropf, wartete auf den Arzt und gab sich Mühe stillzuliegen. Die freundliche Schwester hatte ihr beim Hinausgehen gesagt:
    »Liegen Sie ruhig, keine Bewegung.«
    »Was geben Sie mir da?« fragte Lida und schielte auf die Flasche, die hoch über ihr hing.
    »Vitamine«, antwortete die Schwester.
    Lida lag ganz ruhig und schlummerte dabei unmerklich ein. Ein heftiger Schmerz in der Kreuzgegend riß sie aus dem Schlaf. Anfangs begriff sie überhaupt nichts.
    Was dann kam, erschien ihr später wie ein schrecklicher Alptraum. Darin hörte sie ein schwaches, klägliches Piepsen wie von einem neugeborenen Kätzchen. Sie erhob sich auf die Ellenbogen und sah, wie eine große, kräftige Frau einen emaillierten Trog in der Hand hielt. Aus dem schaute ein winziges Beinchen heraus. Es zitterte und zuckte.
    »Ein Mädchen«, hörte Lida sie wie durch Watte sagen. Dann wurde der Trog an die lächelnde Schwester weitergegeben.
    Lidas Brust entrang sich ein wilder, fast tierischer Schrei. Die ältliche Ärztin fuhr herum.
    »Was schreien Sie denn so? Sie haben es doch schon überstanden.«
    »Was überstanden? Es lebt! Geben Sie es mir, ich bringe es durch!«
    »Beruhigen Sie sich bitte. Ja, die Frucht hat noch gelebt. Aber sie war nicht gesund, nicht lebensfähig. Sie hatten eine Fehlgeburt. Gut, daß es hier im Krankenhaus passiert ist.«
    »Ich zeig’ Sie an«, erklärte Lida leise und entschlossen.
    »Das ist Ihr Recht«, erwiderte Amalia Petrowna und zuckte mit den Schultern.
    Mit raschem Schritt ging sie in ihr Arbeitszimmer zurück, schloß sich ein, nahm den Hörer ab und wählte eine Nummer.
    »Alles in Ordnung. Material ist da«, meldete sie.
     
    Boris Simakow konnte schon die zweite Nacht nicht schlafen. In seiner Situation hätte wohl auch nur ein Mensch mit eisernen Nerven Ruhe

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