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Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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aufs Korn. Vor eineinhalb Jahren sind mehrere unserer Bekannten ausgeraubt worden. Eine schreckliche Zeit …«
    Krotow ging ins Archiv und stellte fest, daß es in einem halben Jahr in der Tat Einbrüche in sieben Schriftstellerwohnungen und drei Datschen in der Literatensiedlung Peredelkino gegeben hatte. Die Diebe hatten stets sehr akkurat gearbeitet, niemandem etwas zuleide getan und nur die wertvollsten Sachen mitgehen lassen – Schmuck, Bargeld, kleine, kostbare Antiquitäten und alte Bilder.
    Keiner dieser Fälle war bisher aufgeklärt. Allerdings hatten sich die örtlichen Ermittler auch nicht übermäßig angestrengt. Schließlich war kein Blut geflossen, hatte es kaum Spuren gegeben. So viele Mordfälle blieben ungeklärt, was bedeutete da schon ein gewöhnlicher Einbruch?
     
    Arseni Wereschtschagin, einen direkten Nachkommen des berühmten russischen Schlachtenmalers, kannte Lena seit einer Ewigkeit. Mitte der siebziger Jahre war er einer der ungekrönten Könige des Moskauer literarischen Untergrunds gewesen. Seine Gedichte hatten im Samisdat die Runde gemacht.
    Arseni war hübsch, begabt und bettelarm. Eine eigene Wohnung besaß er nicht, sondern lebte stets bei einer seiner Frauen oder Geliebten. Seine letzte Ehefrau, einepfiffige Dame mit einem technischen Beruf, brachte Wereschtschagin nach Amerika. Aber dort verblaßte der Stern des Moskauer Bohemiens sehr bald. Im tiefen Wald der Straßenschluchten von Brooklyn ließ sie ihn wie den kleinen Däumling mutterseelenallein zurück.
    Als Lena vor fünf Jahren das erste Mal nach New York kam, hatte ihr Steven bei einer Stadtrundfahrt auch Brighton gezeigt. Während sie an einer Reihe von Geschäften mit russischen Aufschriften vorübergingen, hörte Lena plötzlich hinter sich: »He! Poljanskaja!«
    Ein Unbekannter auf Krücken hatte sie angerufen. Erst als sie das von einem schwarzen Bart überwucherte blasse Gesicht genauer betrachtete, erkannte sie in ihm den schönen Arseni.
    »Die Krücken haben nichts zu bedeuten«, beruhigte er sie, »ich bin von einer Leiter gefallen und hab’ mir dabei ein Bein gebrochen. Wenn du das nächste Mal kommst, hole ich dich in einem Mercedes 600 ab.«
    Ein Jahr später war Lena wieder in New York. Er wohnte immer noch in dem winzigen Loch, in dem außer seiner Matratze nur noch ein Kühlschrank und ein Kübel mit einem Ficus Platz hatten. Der Dichter lebte von Gelegenheitsarbeiten, schleppte Kisten oder putzte für fünf Dollar die Stunde. Das reichte gerade für seine Behausung und chinesische Tütensuppen.
     
    Lena stieg mit einer großen Tüte Lebensmittel die schmutzige Treppe hinauf.
    »Kommen Sie rein, es ist offen!« hörte sie den vertrauten, samtenen Bariton.
    Sie hatte Glück: Arseni war zu Hause. Er konnte ja längst verschollen sein, und ein Telefon hatte er auch nicht.
    »Lena! Das ist aber eine Überraschung!« Er sprang von seiner Matratze auf und hätte beinahe den Ficus umgerissen.
    Von dort flüchtete mit wildem Fauchen ein rothaariger Kater mit ebenso strahlend blauen Augen wie sein Besitzer.
    Lena verstaute ihre Mitbringsel im Kühlschrank, spülte einen riesigen Berg Geschirr, sammelte Konservenbüchsen voller Kippen in eine Plastiktüte, riß das Fenster auf und stellte einen Topf aufs Gas, der Arseni für Suppe und Teewasser gleichermaßen diente.
    Während sie herumwirtschaftete, saß er auf dem Fensterbrett und las ihr seine neuesten Gedichte vor.
    Eine Plastikplatte, auf die Matratze gelegt, diente als Tisch. Als Arseni mit seinem jüngsten Poem zu Ende war und sie sich beim Tee gegenübersaßen, fragte Lena unvermittelt: »Kannst du mir eine Pistole besorgen?«
    »Nichts einfacher als das«, antwortete Arseni ungerührt. »300 Eier. Wann brauchst du sie?«
    »Am besten gleich.«
    »Hast du das Geld dabei?«
    Lena nickte und zog drei Hunderter aus ihrer Handtasche.
    »Bleib hier und rühr dich nicht. Ich bin bald zurück.«
    Schon nach einer halben Stunde war er wieder da und hatte ein Pappkörbchen bei sich, das in hübschen Lettern auf russisch und englisch die Aufschrift »Restaurant ›Schwarze Augen‹« trug. Das war ein sogenanntes Hundepaket, in das einem in einem amerikanischen Restaurant alles eingepackt wird, was man nicht aufessen kann. Daraus zog Arseni eine kleine Pistole in einem weichen Wildlederfutteral hervor.
    »Das ist eine Walther mit fünf Schuß im Magazin«, erläuterte er. »Leider nicht ganz neu. Sozusagen second hand. Das hat auch seinen Vorteil: Sie ist schon

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