Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lenas Flucht

Lenas Flucht

Titel: Lenas Flucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
Krotowbefragte. Die beiden ersten, an die er sich gewandt hatte, lebten inzwischen nicht mehr. Der erste war ein Junge namens Maruska gewesen. Man hatte ihn erst kürzlich aus dem Straflager entlassen. Dorthin war er wegen Gruppenvergewaltigung gekommen und bald selbst vergewaltigt worden. Der Junge ging mit Freude auf Krotows Angebot ein. Er wollte sich an den Ganoven für die schweren Demütigungen im Lager rächen.
    Zwei Tage nach dem Gespräch mit Krotow fand man Maruska mit durchschnittener Kehle in einem Müllcontainer. Am nächsten Tag starb Grinja Goly, sein zweiter Informant, ein alter, versoffener Dieb, an einer Vergiftung mit Methylalkohol.
    Keiner von beiden hatte ihm irgend etwas sagen können.
    Das Auge war seine Trumpfkarte. Die Rolle des Informanten war ihm auf den Leib geschrieben. Er wirkte so unscheinbar, daß man ihn kaum bemerkte. Er verstand es, andere besoffen zu reden und so an jede Information heranzukommen. Die meisten vergaßen schnell, mit wem und worüber sie gesprochen hatten.
    Auf einer vereinbarten Telefonnummer rief das Auge bereits einen Tag später an und verabredete sich erneut mit Krotow in einer Bierkneipe, nur nicht am Zwetnoi Boulevard, sondern an der Taganka. Wieder mußte er zunächst bewirtet werden – diesmal mit einem Grillhähnchen. Bei einer Zigarette packte er dann aus:
    »Du hast Glück, Chef.« Wenja kniff sein lebendiges Auge zu. »Ich habe keine Fragen zu stellen und auch keine ›Narkose‹ anzuwenden brauchen. Auf einem gewissen Basar hab’ ich mich herumgedrückt, ohne daß mich jemand bemerkt hat. Der Auftraggeber, den du suchst, heißt Weiß. Ob das sein richtiger Name ist oder sein Deckname – keine Ahnung. Vielleicht genügt das schon, Chef?« fragte das Auge flehend, »und ich kann mir die Einzelheiten sparen?«
    »Auf keinen Fall. Raus mit der Sprache«, antwortete Krotow streng.
    »Die haben’s aber in sich, die Einzelheiten.«
    »Los, Wenja. Sag mir alles, was du weißt, und wir gehen im guten auseinander. Ich behellige dich nicht wieder.«
    »Mitgefangen, mitgehangen.« Wenja winkte ab. »Also: Dein Toter gehörte zu keiner Bande. Lungerte allein rum. Hat sich aber irgendwie beim Hexer angedient. Jedenfalls hat der, frag mich nicht, warum, Weiß den Mann untergejubelt und nicht einen von seinen Killern. Wird wohl seinen Grund gehabt haben. Die Kohle hat er genommen, alles im voraus und zum Spitzentarif. Aber der Kerl ist losgegangen und hat Mist gebaut. Weiß wollte die Knete natürlich zurück, denn der Auftrag ist ja nicht erledigt. Da haben ihn die Leute vom Hexer aber so richtig verarscht: Das wär’ ein krummes Ding gewesen, sie hätten dabei ihren besten Mann verloren, und das Geld wäre nur ein schwacher Trost für das Leben von ihrem teuren Kumpel.«
    Jetzt bekam auch das Foto in Bubenzows Jacke seinen Sinn. Bisher war es das wichtigste Argument, das man gegen die Version von einem Auftragsmord ins Feld geführt hatte. Krotow empfand so etwas wie Hochachtung vor dem listenreichen Hexer: Nicht genug damit, daß er statt eines echten Killers den Ex-Mann losgeschickt hatte. Damit es überzeugender wirkte, steckte er ihm auch noch das Foto seiner Verflossenen zu. Wer so etwas bei sich trug, konnte wohl kaum auf die eigene Frau schießen. Es sei denn, er war wahnsinnig vor Eifersucht.
    Natürlich fand er auf dem Foto die Fingerabdrücke des Hexers nicht. Der hatte es entweder überhaupt nicht angerührt, oder nur am Rande gehalten wie eine Schallplatte.
    Was aber konnte ein Mitglied des Schriftstellerverbandes, Verfasser von acht Büchern, mit einem solchen Mafia-Boss gemein haben? Wie sich herausstellte, eine ganze Menge. Golowanow war in Tjumen geboren und lebte dort bis 1970. In derselben Stadt, im selben Haus wuchs in der Wohnung gegenüber der spätere Schriftsteller Bubenzow auf. Dessen letztes Buch war 1992 erschienen. Wenn später noch etwasherausgekommen war, dann höchstens für Kopeken. Wovon aber hatte der Schriftsteller all die Jahre gelebt?
    Die Durchsuchung seiner Wohnung ergab, daß es ihm nicht schlecht gegangen war. Dabei hatte seine derzeitige Frau, ein neunzehnjähriges Flittchen, in ihrem Leben noch nie gearbeitet. Im Moment saß sie mit einem Säugling zu Haus.
    Im Protokoll ihres Verhörs, das Sitschkin geführt hatte, fiel Sergej der Satz auf: »Wir hatten immer Geld, aber Pelzmäntel und Brillanten hat mir Jura nie gekauft. Er hat gesagt, das wäre gefährlich. Ganoven sehen sofort, wer Brillanten hat, und nehmen einen

Weitere Kostenlose Bücher