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Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
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eilig an, unsere Garderobe befindet sich schon hier im Klassenzimmer, und gehen hinunter, überqueren schnell den Hof und gehen hinunter in den Luftschutzkeller unserer Schule. Unser Luftschutzkeller ist gut, er besteht aus fünf separaten Räumen, die durch eine Hauptwand getrennt sind. In jedes separate Zimmer passen zwei Klassen. Hier ist es hell und warm, die Luft ist sauber (die Belüftungsanlage funktioniert). Hier stehen Bänke, Sitzbänke, hier ist auch eine Tafel mit Kreide. Wir nehmen in den Bänken Platz, der Lehrer nimmt seinen Platz an der Tafel ein, und die Schulstunde geht weiter. Heute kam mitten in der Literaturstunde die Schulleiterin und informierte uns über den Artilleriebeschuss, der begonnen hatte. Die Literaturstunde ging im Luftschutzkeller weiter, dann hatten wir Geschichte, und dann hätten wir wieder laut Stundenplan Literatur haben sollen. Aber die Schulleiterin kam und erklärte, der Fliegeralarm sei vorbei. Lauft schnell nach Hause. Das haben wir uns nicht zweimal sagen lassen, weil keiner besonders Lust hat, vier, fünf Stunden hungrig im Keller zu sitzen, und wir rannten los nach Hause. Kaum waren wir hinterm Tor … Alarm. Also wir haben es gerade eben so geschafft durchzukommen. Gerade schreibe ich diese Zeilen während des Alarms.
    Aka wärmt die Suppe auf, gleich werden wir essen. Heute haben Mama und ich beschlossen, kein Brot zu nehmen, um am 30. am Wochenendtag nicht ohne Brot dazusitzen. Wir haben noch etwas Leinsamen. Gerösteter Leinsamen ist, so stellte sich heraus, etwas sehr Leckeres. Gestern waren wir alle drei satt, und heute werden wir auch nicht hungern. Aber was dann sein wird, wissen wir nicht. Übrigens bekommt man auf Lebensmittelkarten statt Fleisch Schokolade und Konfekt, und statt Butter hat es früher Käse gegeben und gibt es jetzt Apfel­mus.
    In der Schule bekommen wir ja weiterhin jeden Tag ein Schokoladenkonfekt für 30 Kopeken. Früher mussten wir in die Kantine hinuntergehen, weshalb sich Schlangen bildeten und manche zu spät zur Unterrichtsstunde kamen, aber jetzt sieht die Sache anders aus. In der Mitte der zweiten Unterrichtsstunde kommt die Schulleiterin in Begleitung des Büfettiers in einem weißen Kittel mit einem großen Paket und mehreren Tellern in den Händen. Die Zahl der Anwesenden wird festgestellt, der Büfettier zählt die entsprechende Anzahl der Konfektstücke ab, dann geht einer der Schüler mit diesem Teller durch das ganze Klassenzimmer, gibt jedem ein Stück Konfekt und sammelt Geld ein, das die Schulleiterin gleich mitnimmt. Danach geht die Schulstunde weiter. Gut, natürlich ist die Aufmerksamkeit dahin, mehr als die Hälfte der Klasse kaut ein Stück Konfekt. Und niemand von uns geht noch hinunter, um in der Kantine Tee, d. h. heißes Wasser, zu trinken.
    Heute saß ich im Luftschutzkeller neben Genja Kobyschew. Das ist der Junge, der mich gleich vom ersten Treffen an interessiert hat. Er scheint ein bescheidener, stiller Junge zu sein. Niemals tut er seine Meinung kund. Fängt nie als Erster ein Gespräch an.
    In der Pause vor Geschichte hat er, während sich alle um ihn herum unterhalten haben, »Die toten Seelen« 52 gelesen. Ich fragte ihn: »Gefallen dir die ›T. S.‹?« Er antwortete wortlos, mit der unbestimmten Geste, die man immer versteht. Dann fragte ich ihn: »Welches Fach magst du am liebsten?« Er antwortete wieder mit dieser unbestimmten Geste verlegen lächelnd. Aber das reichte mir nicht. »Na … magst du Geschichte?« »Nein.« »Geografie?« »Ja, Geografie ist in Ordnung. Mathematik mag ich.« »Mathematik? Und Naturwissenschaft?« »Nein, mag ich nicht.« Weitere Gesprächsthemen habe ich nicht gefunden. Aber er schaute mich noch eine Zeit lang irgendwie nachdenklich an, dann fuhr er fort, die »T. S.« zu lesen.
    Genja ist klein, ziemlich schlank. Die hellen Haare bilden am Scheitel einen lustigen Wirbel. Der Blick seiner blauen Augen ist irgendwie warm, weich, der Gesichtsausdruck unschuldig, entschuldigend. Das Lächeln verlegen, manchmal sogar irgendwie einschmeichelnd. Wäre interessant zu wissen, wie er an sich ist.
    Es ist schon Viertel nach drei, aber der Alarm dauert immer noch an. Mal verstummt die Flak, mal schießt sie wieder häufiger.
    Gleich werde ich anfangen, Hausaufgaben zu ­machen. Vor allem Literatur.
    Der Alarm endete um Viertel vor sechs. Aber um halb sieben begann ein Artilleriebeschuss. Mama kam zu Fuß nach Hause. Gerade haben wir den Beitrag des Akademiemitglieds Orbeli 53

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