Lenas Tagebuch
gehört, aus dem wir erfahren haben, dass die Deutschen die Peterhofer und Puschkiner Schätze erbeutet haben. Sie haben Samson zersägt und nach Deutschland gebracht, außerdem das Bernsteinzimmer in Puschkin zerstört und auch nach Deutschland gebracht. Das deutsche Volk wird, koste es, was es wolle, für die Restaurierung des Bernsteinzimmers Bernstein auftreiben müssen.
In letzter Zeit passiert irgendwas in meiner Seele, was ich selber nicht verstehe. Wenig Wünsche, wenig Pläne, Fragen, so viele Gedanken, und sie alle haben sich zu einem Knäuel verflochten, das man nicht entwirren kann. Wenn man wenigstens ein Ende zu fassen bekäme. Mal scheint mir alles klar zu sein, dann ist plötzlich wieder alles in Nebel gehüllt, und ich verstehe nichts. Vor allem kann ich mich niemandem anvertrauen. Mama? Sie kommt nach Hause, isst und geht schlafen. Sie ist jetzt immer so müde. Tamara? Wie soll ich mich ihr anvertrauen, und was wird sie von dem, was ich ihr sagen werde, verstehen, und was soll ich überhaupt anvertrauen? Denn in mir ist eine Leere, eine richtige Leere. Ich verstehe nichts, beziehungsweise ich verstehe alles, ich weiß nur nicht, was ich verstehen soll.
Ich kann Wowka überhaupt nicht vergessen, ich träume jeden Tag von ihm. Habe ich ihn denn wirklich geliebt? Ich kann mir gar nicht darüber klar werden. Und warum kann ich keinen Jungen aus unserer Klasse kennenlernen? Galja Wiron wird schon von allen Jungs Galka gerufen, aber mir gehen sie aus dem Weg, und manche siezen mich. Woran liegt das? Warum will ich immer mit jemandem ein Gespräch beginnen, weiß aber nicht, zu welchem Thema. Gott weiß, was los ist. Ich bin überhaupt kein Mensch, sondern ein einziges Missverständnis. Niemandem gefällt der Chemielehrer, ja, buchstäblich alle lachen ihn aus irgendeinem Grund aus. Aber mir gefällt er, ich sehe in ihm, Gott weiß wieso, einen sowjetischen Lehrer, und ich würde mir wünschen, dass er unser Klassenlehrer wird und uns alle umerzieht und so unsere Herzen erreicht. Wir alle würden sowjetische Schüler werden, aufrichtige Kommunisten. Und dass er uns unser ganzes Kulturbanausentum austreibt, dass wir uns mit ihm eine Sinfonie anhören, dass uns die Augen für die ganze Welt geöffnet werden und wir erkennen: Wir leben, wir leben unser einziges Leben. Und dass sich jeder von uns fest vornimmt, sein Leben, wie es sich gehört, zu leben. Dass wir uns unserer Eltern wirklich als würdig erweisen und noch besser sein werden als sie. Kultivierter, gebildeter. Und selbst Eltern werden, die ihre Kinder so großziehen, dass sie besser sein werden als wir. Dann wird der Mensch ein glückliches, nutzbringendes und frohes Leben führen. Und wenn wir alt sind, könnten wir uns über das vergangene Leben freuen. Wichtig ist zu wissen: Es wurde so gelebt, dass man es nicht bedauern muss. O mein Gott, wie sehr wünsche ich mir, dass damit begonnen wird, die Jugendlichen umzuerziehen.
Wie sehr wünsche ich mir, irgendwo an einem anderen Ort zu leben, unter anderen Jugendlichen, und vieles mehr. Und ich wünsche mir, dass Tamara anders wäre. Und dass Wowka anders wäre. Und dass sie alle nach etwas Hellem, Wunderbarem strebten. Vielleicht möchte ich, dass alle Jugendlichen Romantiker wären. Vielleicht. Aber ich glaube nicht. Nein. Natürlich nicht.
Ich will, dass wir so leben, wie Lenin es gelehrt hat. Und dass die Schule anders wäre und die Umstände auch.
Lenin sagte: »Lernen, lernen und nochmals lernen!« Das ist meiner Meinung nach das Erste, woran ein sowjetischer Schüler denken muss! Und ein sowjetischer Schüler muss das Abschreiben, die Spielkarten, die Zigaretten bekämpfen. Und noch vieles andere.
Wie soll ich nur einen Menschen finden, der sich für die Naturwissenschaft, die Geologie, die Mineralogie interessiert. Im Mineralogischen Museum gibt es Steine. Warum fesseln sie mich so? Ich weiß es nicht. Ich will die ganze Natur Stück für Stück, bis zum kleinsten Atom, erforschen. Und alles, was daran interessant ist. Und ein Buch über Menschen schreiben. Und Alben mit Fotos von den verschiedensten Gegenden unseres Landes besitzen. Ich sehne mich nach Bergen und nach dem Meer. Vielleicht will ich ein einfacher Weltenbummler sein? Vielleicht.
Nein! Nein! Nicht nur ein Weltenbummler. Ich weiß selbst nicht, was ich werden will. So ein Wirrwarr im Kopf! Ein Chaos!
28/XI
Heute kam ich um Viertel nach fünf aus der Schule. Der Fliegeralarm begann um zwölf Uhr. Die vierte,
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