Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lenas Tagebuch

Lenas Tagebuch

Titel: Lenas Tagebuch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Muchina
Vom Netzwerk:
grausam doch das Schicksal ist.
    7/III
    Heute stand ich um acht Uhr auf. Kurz nach zehn packte ich die nötigsten Sachen in einen Schultersack, legte ihn auf den Schlitten und machte mich auf den Weg zu Galja. Zu dritt brachten wir Julija Dmi­trijewna ins Kuibyschew-Krankenhaus. Kira, Galjas Schwester, musste woanders hin, Galja und ich gingen allein zurück. Es war außergewöhnlich sonnig. Die Sonne gleißte und wärmte schon ganz frühlingshaft, sogar die Eis­zapfen fingen an zu tropfen. Der Frühling, der Frühling nimmt seinen Tribut. Dann gingen Galja und ich in meine Kantine und nahmen vier Portionen Suppe mit, […] 90 dicke, und eine Wurst. Von dort gingen wir ins Haus 28, und ich hatte Glück: Gerade hatten sie begonnen, Rosinen auszugeben, und die Warteschlange war kurz. Galja ging mit der Suppe nach Hause, ich erstand meine Rosinen und ging dann auch zu Galja. Gemeinsam zersägten wir einen riesigen Holzklotz, zerstückelten ihn auf dem Hof. Dann ging Galja Alik abholen, während ich im Ofen Feuer machte.
    Als Galja nach Hause kam, setzte sie gleich Tee für ihren Papa auf. Er liegt den ganzen Tag, sein Herz ist schwach, und er hat eine Magenverstimmung. Das sind die Nerven. Denn es ist ein ziemlicher Schlag, seine Lebensgefährtin zu verlieren. Danach wärmte ich meine Suppe auf. Um halb sieben aß ich. Galja ist so ein guter Mensch, sie überredete mich, ein Stück Brot zu nehmen, denn jetzt gehe das ja, weil es noch das Brot von Julija Dmitrijewna sei.
    Ich trank Tee, aß Rosinen und Brot und war ganz satt. Morgen ist der 8. März. Frauentag. Galja wird zu Hause sein. Galja ist ein solcher Freund. Jetzt lege ich mich schlafen. Ich bin so müde.
    13/III
    »Ein Zaubermorgen; Frost und Sonne …« 91 Der Frühling kommt, das spürt man nun stärker mit jedem Tag. Die Sonne wärmt schon frühlingshaft, der Schnee dampft, und die Eiszapfen weinen, obwohl im Schatten der Frost noch erbarmungslos in die Nase beißt.
    Ich wohne noch bei Galja, kümmere mich um ihren kranken Papa, helfe im Haushalt, wie ich kann. Heute geht es dem Papa besser als gestern, und Galja und ich geben die Hoffnung nicht auf, dass er sich wieder erholt. Er hat eine nervlich bedingte Magenverstimmung und ist sehr geschwächt. Galja geht mit Alik morgens früh um acht und kommt um sechs Uhr abends zurück. Den ganzen Tag bin ich mit ihrem Papa allein. Er schläft die meiste Zeit. Ich bin mir selbst überlassen, ich tue, was ich will.
    Jetzt ist es zwei Uhr. Ich sitze am Fenster und schreibe. Die Frühlingssonne erhellt das ganze kleine Zimmer. Überhaupt wäre das alles nicht schlimm, wenn nicht die ganze Zeit diese ziehende Leere im Magen wäre. Ich möchte so essen, es ist einfach nicht auszuhalten. Ich lebe im Moment von 300 g Brot und von Suppe. Am Tag Brot, um sieben Uhr abends zwei Teller Suppe, das ist mein ganzes Essen. In den letzten Tagen bin ich merklich schwächer und dünner geworden. Ich weiß nicht, ob ich überleben werde. Ich möchte so sehr leben. Ich muss möglichst schnell zu Schenja. Dann bin ich gerettet.
    Die Abende sind sehr quälend, wenn ich meine leere Suppe ohne Brot dazu löffele (das Brot bis zum Abend zu strecken ist unmöglich), während gleich neben mir auf dem Tisch viel Brot liegt und eine Dose mit Zucker steht, und Galja schneidet sich dicke Scheiben Brot ab, bestreut sie mit Zucker und isst sie. Ich weiß, Neid ist nicht gut, aber ich finde schon, dass Galja mir jeden Tag ein Stück Brot abgeben könnte, ohne dass sie Schaden nähme. Denn sie bekommt doch im Moment außer ihren eigenen 300 g noch 700 dazu: 300 für die Mama und 400 für den Papa (er isst im Moment kein Brot). So viel Brot kann sie doch gar nicht essen, Suchariki 92 trocknen tut sie auch nur wenig, wahrscheinlich hortet sie das Brot im Schrank (der immer abgeschlossen ist). Das kann doch kein gutes Ende nehmen: Da wird ein Mensch vor Hunger von Tag zu Tag schwächer, und im Schrank liegt Brot und trocknet aus.
    Natürlich geht mich das Brot nichts an, das ist nicht meins, sondern Galjas, Galja ist ein fremder Mensch, sie muss sich nicht um mich kümmern, aber … ein kleines »aber« bleibt. Ich an Galjas Stelle würde aus Mitleid ein Stückchen Brot abgeben. Ich würde das im Herzen nicht aushalten. Ich werde auf keinen Fall als Erste bitten. Das geht gegen meine Ehre, und ich bin zu stolz, um Bittstellerin sein – Galja wird mir doch wohl von selber etwas anbieten. Sie weiß doch, wie sehr ich Hunger habe. 300 g Brot für einen

Weitere Kostenlose Bücher